Weiter unten einige frühere Ausgaben. Tiefere Einblicke in unser Archiv können Sie unter http://en.tischbahn.de nehmen. Dort sind alle Ausgaben der bisher elf Jahrgänge versammelt, die Sie hier nicht finden. Wenn Sie kostenlos mit einem Newsletter auf neue Ausgaben hingewiesen werden wollen, können Sie ein Abo über thomas.rietig(at)rsv-presse.de anfordern. Sie erhalten dann jedes Mal, wenn eine neue Ausgabe erscheint, eine Benachrichtigung. Mehr nicht. Die Adressen werden zu nichts anderem verwendet, geschweige denn weitergegeben. Der Datenschutz ist gewährleistet. Natürlich freut sich die Redaktion auch über Anregungen und Kritik. Im übrigen gelten alle rechtlichen Bestimmungen und einschlägige Urteile zu privat betriebenen, nichtkommerziellen Internetpräsenzen. Das Impressum finden Sie am Ende dieser Seite.
Etwashausen, 25. November (Eigener Bericht) Die Polizei hat endlich den notorischen Linksfahrer gestellt. Am Donnerstagabend kam es zur Konfrontation zwischen der Ordnungsmacht und dem selbsternannten Verkehrs-Revolutionär, der seit Tagen die Straßen der beiden Gemeinden unsicher macht.
Das Auto, ein weißes Goggomobil mit rotem Dach, war seit einiger Zeit dadurch aufgefallen, dass es mit hohem Tempo und laut hupend vorzugsweise nachts auf der falschen Straßenseite durch die Dörfer fuhr. „Und die Polizei tut natürlich mal wieder nichts!“, sagte Berta Ginster beim Tee in Pits Café. Rita Knobloch, die Gattin des Sparkassendirektors, pflichtete ihr bei: „Es muss wohl erst wieder was passieren, bevor die Beamten tätig werden.“ Dabei lief die Fahndungsmaschinerie bereits auf Hochtouren. Es gab zwar eine Menge Ohrenzeugen, aber niemand hatte das Auto wirklich gesehen, sodass es identifiziert werden konnte. Meist war es in den Schutz der Dunkelheit abgetaucht, bevor die aus ihrem Schlaf geschreckten Bürger wach genug waren, um beim Blick aus dem Fenster noch Marke und Kennzeichen des Fahrzeugs zu erkennen. Eine Ausnahme bildete der Alt-68-er Klaus-Dieter Schulze-Hartnack, der anders als die meisten seiner Nachbarn regelmäßig sehr spät ins Bett geht. „Ich habe genau gesehen, dass es ein Goggo war“, gab er bei der Polizei an. Die schenkte ihm jedoch keinen Glauben. „Du hast doch um die Zeit schon einen im Tee“, sagte Polizeiobermeister Siegfried Rudolph. Vor drei Tagen dann war der 16-jährige Ole B. nachts mit seiner neu erworbenen Kamera zugange, mit der er Fotos bei Dunkelheit üben wollte. Er konnte ein Bild aus dem dritten Stock seiner Wohnung schießen, als der Serientäter gerade wieder laut und viel zu schnell in der Waagenstraße einen VW-Käfer überholte. Dabei hätte der Goggo fast einen Buckeltaunus gerammt, der ordnungsgemäß unter der Laterne parkte. Auf dem Bild, das Ole stolz im Polizeirevier präsentierte, waren zwar weder Fahrer noch Kennzeichen zu erkennen, aber Rudolph wusste sofort: „Das ist der Goggo vom Seniorenbeauftragten!“
Ein Zeichen setzen
Rudolph versuchte, Anhalt zu Hause zu erwischen, traf aber weder ihn noch seinen Goggo an. Als er allerdings die Bahnhofstraße in Wildenranna entlangfuhr, sah er vor sich den Tatwagen, natürlich auf der linken Straßenseite. Dann ging alles ganz schnell: Rudolph beschleunigte, fuhr hinter ihm her, hupte ihn von der linken Spur weg, überholte ihn und stellte seinen Bulli mit elegantem Schwung vor das Goggomobil. Anhalt stieg in die Eisen, so gut es eben ging, und kam knapp vor dem Polizeiwagen zum Stehen. „Was soll denn der Quatsch? Wissen Sie nicht, wie gefährlich das ist?“, fragte Rudolph den Seniorenbeauftragten, als er seine Personalien aufnahm.
Der gab alles zu und erwiderte trotzig: „Ich will damit ein Zeichen setzen.“ „Wie bitte? Das müssen Sie mir erklären!“ „Ich hasse Regeln. Ihr Obrigkeitsgläubigen merkt doch gar nicht, wie der Staat euch gängelt. Mit Freiheit hat das doch alles nichts mehr zu tun hier!“ „Sie wollen die Freiheit eines Geisterfahrers haben?“, fragte Rudolph ungläubig.
„Genau! Sie sehen doch, dass es völlig unfallfrei geht!
„Ach! Früher oder später hätte es gekracht, das sage ich Ihnen.“ „Das sieht euch ähnlich! Vor Gefahren warnen, die es nicht gibt, und unter diesem Vorwand die Menschenrechte einschränken. Ich fordere Freiheit auf der Straße!“
Rudolph trat zwei Schritte vor und Anhalt voll auf den Fuß. „Aua! Was soll das?“, fragte der wütend. „Ich habe mir die Freiheit genommen, dort hinzutreten, wo Ihr Fuß steht. Ich darf mich im öffentlichen Raum überall aufhalten. Steht im Grundgesetz.“ Anhalt atmete schwer und brauchte einen Moment, bis er sich gefangen hatte. „Das werden Sie bereuen! Ich zeige Sie an.“ „Bitte sehr“, meinte Rudolph. „Denken Sie dran, Sie haben keine Zeugen. Aber ich habe Zeugen und ein Foto, wie Sie gegen Regeln verstoßen, und zwar ganz gefährlich. Deshalb kommen Sie jetzt erst mal mit, und dann werden wir sehen, ob Sie vor der nächsten Nachtfahrt vielleicht erst einmal einen Grundkurs in Gemeinsinn machen müssen.“ Und er nahm ihn mit aufs Revier.
Etwashausen, 24. April (Eigener Bericht) Zum ersten Mal seit Jahren ist es in der Stadt wieder zu einem fast kriminellen Akt gekommen: Unmittelbar vor dem geplanten Aufstelltermin wurde der Maibaum geklaut. Dank günstiger Umstände gelang es jedoch den Ermittlern und der Dorfjugend, ihn wiederzubeschaffen und rechtzeitig aufzurichten. Die Verantwortlichen für die ruchlose Tat wurden von Bürgermeister Wilhelm Ulrich persönlich amnestiert.
Das rund 13,5 Meter hohe Objekt der Begierde, eine Fichte aus dem Wald hinter der Forsthauskurve, hatte der Stadtrat vor einiger Zeit nach einem Ortstermin ausgewählt. Über alle Parteigrenzen hinweg fasste er den Beschluss: „Am 1. Mai wollen wir ein deutliches Zeichen der zugleich fortschrittlichen und zukunftsorientierten Ausrichtung der Etwashausener Stadtpolitik setzen.“ Darin legte er fest, dass der Baum auf seinen diversen Stationen vom Wald bis zum Stellplatz „überwiegend“ mit der Bahn transportiert werden wolle. Um dies feierlich zu gestalten, wurde eigens Feuer unterm Kessel der alten 86-er im Fotoanstrich aus dem Museum angefacht. Die Bahn trat ebenso wie die Farben AG als Sponsor auf. Freiwillige aus der Bürgerschaft sollten im Hof der Chemiefabrik den Maibaum lackieren und schmücken, nachdem er im Sägewerk von Wildenranna seine endgültige Form erhalten hatte. Anschließend war zum Aufstellort vor dem Dorfkrug ein festlicher Transport über die Straße geplant.
Der noch unbehandelte Maibaum zusammen mit anderen zu bearbeitenden Bäumen kommt am Sägewerk in Wildenranna an.
Der Transport verzögerte sich jedoch unerwartet, weil der bereits fertige, ordnungsgemäß weiß-blau von links nach rechts aufsteigend gestrichene Baum des Nachts samt dem Waggon, auf dem er lagerte, und der Zuglokomotive verschwand. Obwohl es sich um eine Dampflokomotive handelte, ging der Klau so geräuscharm vor sich, dass am nächsten Morgen niemand etwas gehört oder gerochen haben wollte. Fast niemand, denn Bahnhofsvorstand Jakob Claus versuchte eigenen Angaben zufolge gegen zwei Uhr morgens die Polizei anzurufen. „Ich schlafe ja bei offenem Fenster, und da entgeht mir normalerweise nichts. Ich roch den Dampf der 86-er, aber leider dachte ich erst, ich träume. Bis ich mir bewusst wurde, dass auf dem Werksgleis ja wirklich eine Lok mit Ruhefeuer übernachtete, war sie schon längst weg.“ Bei der Polizei sei niemand ans Telefon gegangen.
Hauptwachtmeister Uwe D. bestätigte am Morgen kleinlaut: „Bei uns ist die Wache von 21 bis 5 Uhr unbesetzt, da in dieser Zeit eh niemand auf die Straße geht.“ Sachlich hatte er recht: Von einigen verspäteten Zügen abgesehen, hielten sich das Nachtleben und erst recht die Kriminalität in Etwashausen in so engen Grenzen, dass es keiner Ordnungsmacht bedurfte. Bei dem letzten in der Stadt registrierten kriminellen Akt hatte es sich vor zehn Jahren um Zechprellerei und Kreditbetrug gehandelt (die EN berichteten).
Nur kurz nach Bekanntwerden des Diebstahls meldete sich der Täter bei Dorfkrug-Wirt Egon Pielke, der ihn gut kannte. Es war Junglokführer Ralf Adler aus Wildenranna. „Ich wollte die Tradition aufrecht erhalten“, sagte er zur Begründung. Entschuldigen wolle er sich nicht.
„Weißt du nicht, dass die Polizei nach dir fahndet?“, fragte ihn Pielke.
„Dafür kann ich nichts“, sagte Adler. „Maibäume werden geklaut, das gehört einfach dazu. Und wer die Tradition kennt, weiß: Es ist ein ungeschriebenes Gesetz, dass die Polizei nicht eingeschaltet wird.“
„Da hast du natürlich auch wieder recht“, räumte Pielke ein. „Und wie machen wir jetzt weiter?“
„Du und der Maibaumaufstellungsverein geben mir einen aus und halten mich bei der Maifeier frei. Wenn ihr mir das versprecht, bringe ich den Baum rechtzeitig wieder zurück.“
„Aber als erstes rufen wir jetzt die Polizei an, dass sie die Fahndung beendet.“
Gesagt, getan. Hauptwachtmeister D. war erleichtert, dass seine kreative Dienstplangestaltung keine schwerer wiegenden Folgen gezeitigt hatte.
„Und jetzt trinken wir einen, und dann bringst du den Zug wieder zurück“, schlug Pielke vor.
„Bloß nicht“, sagte Adler, “dann mache ich mich ja wirklich strafbar. Ich fahre jetzt wieder mit meinem Auto zum Maibaum und bringe den Zug zurück.“
Es dauerte nicht lange. Gerade mal einen Tag war der Maibaum verschwunden. Adler hatte ihn – übrigens mit Genehmigung der Oberzugleitung, die bei dem Streich gerne mitmachen wollte – auf einem verkrauteten, selten befahrenen Nebengleis in der Nähe von Neustadt abgestellt. In der folgenden Nacht dampfte er mit seinem Bedarfsheizer Martin Schell von dort aus wieder zum Anschlussgleis der Farben AG.
Als es hell wurde, trugen alle Maibaumfreunde gemeinsam das gute Stück die kurze Strecke zum Dorfkrug. Dort richteten sie es mit Hilfe des alten Lanz-Bulldogs von Bauer Hartmut Wolf auf. Sofort sammelten sich Schaulustige auf dem freigeräumten Parkplatz der Wirtschaft, und obwohl noch keine Bänke aufgebaut waren, hatten Pielke und seine Kellnerinnen alle Hände voll zu tun. Diesmal sagte auch Adler nicht nein. Er trank mit dem Bürgermeister und versprach, künftig Recht und Gesetz zu achten, bestand aber zugleich darauf, dass in der Stadt auch die Tradition hochgehalten werden müsse. Vor allem erklärte er sich bereit, an den Nachtwachen teilzunehmen, damit der Baum bis zur Maifeier nicht noch einmal geklaut würde.
Etwashausen, 27. Februar (Eigener Bericht) Das „Gasthaus zur Post“ hat sein historisches Aushängeschild zurück. Das lange verschwundene Symbol gastlicher Gemütlichkeit, das in alten Zeichnungen und Fotos des Gebäudes zu sehen ist, schmückt seit einigen Tagen wieder die Fachwerkfassade. Die „Etwaigen Nachrichten“ berichten exklusiv von einem erfolgreichen Findungsprozess.
Das Schild mit dem seltenen grünen Posthorn wurde im 18. Jahrhundert geschmiedet, als die Posthalterei von Etwashausen zum Gasthaus zur allgemeinen Nutzung umgewidmet wurde. Seitdem durften auch Einheimische neben den mit der Postkutsche reisenden Touristen dort Speisen und Getränke zu sich nehmen, was die Verständigung zwischen den Fremden und den Einheimischen merklich förderte. Postwirtin Dorothea Talbauer erzählt: „Diese Umwidmung sollte für unsere Vorfahren überlebenswichtig werden, denn als Mitte des 19. Jahrhunderts die Eisenbahn nach Etwashausen kam, erübrigte sich die Posthalterei völlig, weil kaum noch jemand mit der Kutsche reiste.“ Danach habe sich das Gasthaus zu einem normalen Hotelbetrieb entwickelt, der er heute noch ist.
Bis zum Neubau der Bundespost in der Hauptstraße blieb aber eine Poststelle im ersten Stock, zu deren Duldung sich die Talbauers verpflichten mussten. „Das störte den Betrieb sehr, denn der Schalterraum machte es unmöglich, in der ersten Etage Hotelzimmer mit Blick auf unseren historischen Marktplatz einzurichten und zu vermieten.“
Das schmiedeeiserne Schild über dem Eingang galt als verschollen, seit vor mehr als 20 Jahren das Fachwerkhaus von einer anderen Eisenbahnanlage abgerissen wurde. Als das Gebäude später in Etwashausen wiedererstand, war das Schild zunächst nicht mehr zu finden. Schon wurde gemutmaßt, Antiquitätensammler hätten es mitgehen lassen. Eine europaweite Fahndung bei Altwarenhändlern und Auktionshäusern brachte kein Ergebnis.
Vor zwei Wochen jedoch begann Klaus-Dieter Schulze-Hartnack, der stadtbekannte Salonbolschewist, endlich einmal seine Wohnung in der Hauptstraße aufzuräumen. Zu dieser gehörte auch ein Mansardenraum unterm Dach des Gründerzeitbaus. Dort entdeckte er einen alten Ohrensessel. „Den könnte ich als guten Platz zum Philosophieren wieder ins Wohnzimmer stellen. Vielleicht fällt mir ja eine neue Sozialismustheorie ein“, dachte er bei sich und saß kurz Probe, wobei dem Polster eine dicke Staubwolke entwich. Als er den Sessel zum Entstauben von der Wand wegrückte, entdeckte er hinter der großen, breiten Lehne – das Postwirts-Schild. Daneben ein brüchiges Stück Stoff, das sich als Transparent entpuppte. Kurzfristige Handgreiflichkeiten Als das Gröbste aus den Polstern heraus war und sich die Staubwolken unterm Dach verflüchtigt hatten, setzte Schulze-Hartnack sich in den Sessel und grübelte, den Blick fest auf die halb verblichenen Buchstaben des Transparents gerichtet. Da stand: „Macht kaputt, was euch kaputt macht!“ „Wie kommt das Postschild wohl da hin?“, fragte er sich, und langsam dämmerte es ihm. Dunkel tauchte vor seinem inneren Auge eine Demonstration gegen die Staatsmacht auf, die mit Hilfe der Bundespost und anderer Repressionsinstrumente das Volk immer weiter knechtete. Der Aufzug endete damals auf dem Etwashausener Marktplatz. Dort artete er kurzfristig in Handgreiflichkeiten und Gewalt gegen Sachen aus, als Polizeiobermeister Siegfried Rudolph durch den Lautsprecher seines Peterwagens die rund 20 Teilnehmer aufgefordert hatte, sich zu zerstreuen. Bevor die Staatsgewalt jedoch Maßnahmen einleiten musste, taumelten die meisten Teilnehmer aufgrund der inzwischen verstärkt einsetzenden Wirkung der zuvor konsumierten Betäubungsmittel von selbst in alle Richtungen davon. „Gut, dass es da keine Fotos mehr gibt“, sinnierte der altgewordene Demonstrant Klaus-Dieter. „Irgendjemand muss das Schild abgerissen und es mir in die Hand gedrückt haben. Oder habe ich vielleicht selber…?“
Schulze-Hartnack brachte den sauberen Sessel in seine Wohnung und trug das Schild zu Talbauer in die Gaststube. „Sehen Sie mal, was ich hier habe“, begrüßte er die Wirtin mit freudigem Gesicht. „Sie können das doch sicher noch gebrauchen?“ Dorothea Talbauer antwortete ebenso erfreut: „Aber ja! Wo haben Sie das denn her?“ Der „Finder“ murmelte, leicht verlegen, etwas von „Dachbodenfund“ und betonte, wie sehr er sich freue, es zurückgeben zu dürfen. „Wir lassen es sofort wieder montieren“, schlug Talbauer vor und griff zum Telefon. Sie hatte aus den Zeiten der Zusammenarbeit noch Beziehungen zur Bundespost. Deren Montagetrupp, der eigentlich Telefonanalgen baut, kam, stellte die Leiter auf, zwei Techniker griffen zu Bohrmaschine und Aluminiumwinkeln und montierten das Schild wieder an seinem angestammten Platz. „Das machen wir doch gerne“, hatte Posthauptschaffner Bernd Klein nach kurzer Rücksprache mit seinem Dienststellenleiter erklärt. „Schließlich ist es ja auch ein bisschen Reklame für uns.“
Talbauer, die Schulze-Hartnacks Vergangenheit in groben Zügen kannte, sagte augenzwinkernd: „Ich nehme an, Sie verzichten auf Finderlohn?“ Der Angesprochene zwinkerte zurück: „Aber klar!“ Sie ließ sich aber doch dazu hinreißen, ihm für die nächsten vier Monate je einen Abend freie Getränke zu spendieren. Schulze-Hartnack dachte bei sich: „Da bin ich ja noch gut weggekommen“, bedankte sich artig, ging nach Hause, setzte sich in seinen Ohrensessel und überlegte, wen er am ersten Abend an den Tisch im Gasthaus zur Post einladen sollte.
Etwashausen, 10. Februar (Eigener Bericht) Eine gewonnene Wette hat am Wochenende die Stadt in Aufregung versetzt. Ein ganzer Güterwagen wurde per Straßenroller vor Pits Café gefahren. „Damit hatte ich nun wirklich nicht gerechnet“, sagte Pit. Im Exklusiv-Interview der „Etwaigen Nachrichten“ erklärte er, was es mit der gewaltigen Lieferung aus Italien auf sich hat.
Der Himmel vor den Schaufenstern des Cafés verdunkelte sich, nachdem Manni Lindner es geschafft hatte, den Culemeyer trotz der Enge der Goethestraße direkt vors Café zu bugsieren. Es war überhaupt das erste Mal, dass der große Straßenroller in die Innenstadt fuhr. Die Fahrzeuge gelten noch immer als probates Mittel, Wagenladungen, aber auch sperrige Gegenstände wie Turbinen für Kraftwerke oder ähnliches, zu Kunden zu bringen, die keinen Gleisanschluss haben. Die Schlepper, die Anhänger und Waggons mit einem Gewicht von -zig Tonnen ziehen können, haben Spezialmotoren und -getriebe, die ein ganz langsames Anfahren und zentimetergenaues Rangieren im oft engen Raum ermöglichen, aber dafür in ihrer Höchstgeschwindigkeit auf 25 km/h beschränkt sind.
Lebensmittel aus Neapel
Pit hatte mit diesem Monster in der Goethestraße überhaupt nicht gerechnet, schon gar nicht damit, dass der Inhalt für ihn bestimmt war. Er war total überrascht. „Wieso hat mir denn keiner was gesagt?“, fragte er Manni, als der ihm die eindeutigen Frachtpapiere präsentierte und um seine Unterschrift bat. Manni zuckte mit den Schultern: „Uns ist dieser Wagen von den Italienern mit Deiner Adresse überstellt worden.“
Pit schaute auf den Absender, es war eine Lebensmittel-Großhandlung aus Neapel, und da dämmerte es ihm: „Den Chef von dem Laden habe ich im Sommer bei einer Dienstreise kennengelernt. Dann ist das ja offenbar ein Angebot, das ich nicht ablehnen kann.“ Er öffnete die Waggontür. Drin waren unter anderem mehrere Kisten Montepulciano und Wermut, ein Fass Grappa, mehrere Zentnerpackungen voller Käsestangen, Tomatenmark, echte Tomaten, Pasta aller Art, weitere Zutaten wie Pesto in verschiedenen Geschmacksrichtungen in einer Kühlbox sowie zwei wohlriechende Laibe Parmesan. Unter den Frachtpapieren war auch eine Rechnung. Die Summe belief sich auf Nullkommanull Mark.
„Hoffentlich hat das keinen Pferdefuß“, murmelte Pit. „Wie meinen Sie das?“, fragte Reporterlegende Fritz P., der im schräg gegenüberliegenden Redaktionsgebäude auf das große Fahrzeug aufmerksam geworden und auf die Straße gelaufen war. „Also ich habe vor einigen Wochen in Italien mit einem Mann im Restaurant in Neapel gewettet, dass er meine Pizza nicht von einer aus der Altstadt würde unterscheiden können.“
„Das gibt es doch nicht“, zweifelte der Reporter.
„Der Bekannte hat es auch nicht geglaubt. Deshalb wettete er mit mir. Sollte ich gewinnen, würde er mir einen ganzen Waggon voller Zutaten für italienisches Essen vor die Cafétür stellen.“
„Also Sie haben gewonnen. Und wie haben Sie das hingekriegt?“
„Eigentlich ganz einfach. Die Neapolitaner sind so stolz auf ihre Pizza, dass sie die Zubereitung in aller Präzision voll öffentlich gemacht haben. Wir hier in Deutschland essen zwar etwas anderes unter dem Namen Pizza, aber wenn man sich ins Rezept ein bisschen reinfuchst, kriegt man es nach ein paar Versuchen auch neapolitanisch hin. Wenn man Glück hat.“
„Sie haben es ja offensichtlich geschafft.“
„Ja, aber ich habe nicht geglaubt, dass der Signore Ernst macht mit der Wette.“
„Und jetzt gibt es nur noch italienische Spezialitäten bei Ihnen auf der Speisekarte?“
„Nein, die Bockwurst bleibt drauf. Aber viel mehr Pasta. Und zum Sonderpreis. Meine Gäste sollen auch was davon haben.“
„Eine Frage noch“, meinte Fritz. „Was hätten Sie machen müssen, wenn Sie verloren hätten?“
„Ein Jahr lang alle Familienmitglieder kostenlos im Café bewirten.“
„Hört sich nach einer großen Familie an.“
Pit runzelte die Stirn. „Ja. Vielleicht kommen sie ja trotzdem. Hoffen wir, sie haben einen Ehrenkodex, der mit unserem kompatibel ist.“
Fritz und Manni halfen Pit ein wenig beim Ausladen. Nach anderthalb Stunden war der Vorratskeller voll bis oben hin, und der Straßenroller mit dem Kühlwagen fuhr wieder zum Güterbahnhof.
Etwashausen, 08. Mai (Eigener Bericht) Mit einer gemeinsamen Kontaktinitiative wollen die Bundesbahn und das französische Schwesterunternehmen SNCF die deutsch-französischen Motor wieder auf Touren bringen. Ab sofort werden den exklusiven Expresszügen zwischen beiden Metropolen Postwagen beigegeben. Die EN waren bei der ersten Ankunft eines solchen Zuges am Freitag dabei.
„Das Verhältnis der beiden Staaten ist sichtlich abgekühlt“, bedauerte Bürgermeister Wilhelm Meyer. „Dagegen haben wir jetzt auf dem kurzen Dienstweg ein deutliches Zeichen gesetzt.“ Gerade der 8.Mai als Tag der Befreiung vom Nationalsozialismus eigne sich bestens für derartige Initiativen. Meyer äußerte sich bei einem kleinen Empfang am Gleis 2 des Etwashäuser Bahnhofs. Dort war der französische „Postes“-Wagen im Premium-Zug der Etwashausen-Pariser Städtefreundschaft, dem Okzident-Express, mit nur zehn Minuten Verspätung am Mittag angekommen. Die Zuglokomotive, eine moderne BB 9200, war eigens für die Stromsysteme der Bundesbahn und des französischen Ostens umgerüstet worden.
Etliche Briefe und Postkarten wurden ausgeladen und anschließend in relativ kurzer Zeit an die Empfänger in der Stadt und der näheren Umgebung verteilt. Das war möglich geworden, weil je ein Beamter der französischen Post und der deutschen Bundespost die Sendungen bereits während der Fahrt in dem Waggon nach Empfangsgebieten sortiert hatten. „Dank dieser Methode kann der Postweg zwischen beiden Städten erheblich beschleunigt werden“, sagte der Bürgermeister.
Posthauptschaffner Bernd Klein, der eigenen Worten zufolge „das Glück“ hatte, im Waggon arbeiten zu dürfen, erläuterte die Vorteile dieses Arbeitsplatzes: „Dank des Durchgangs vom Postwagen zum gleich dahinter laufenden Restaurantwagen ließen sich die Pausen sehr angenehm gestalten“, sagte er verschmitzt. „Dank Tagesgeld, Trennungszulage und Verpflegungspauschale wurde sogar für mich das ‚Pausenbrot‘ erschwinglich.“
Zwei Kisten voller Masken
Nach dem Empfang und dem Aussortieren der Briefsendungen rangierte die V 60 den Wagen aufs Ladegleis von Wildenranna, um dort auch die Päckchen und Pakete zu entladen. Dabei waren auch zwei große Kisten Mund- und Nasenschutzmasken, „falls einmal die Pest nach Etwashausen kommt“, wie Meyer sagte, der während des Rangiervorgangs im „Postes“-Wagen mitgefahren war.Die örtliche Filiale der Bundespost hatte sich als Lieferwagen zum Verteilen einen gelben Citroen Hy organisiert. Damit solle auch dem letzten Postbeamten und den Kunden deutlich werden, wie wichtig die deutsch-französische Zusammenarbeit sei, erklärte Jean-Claude Commartin, der Beauftragte für interkulturelle Beziehungen im Pariser Rathaus. Er war mit einem „Postes“-Dienstwagen extra aus Paris angereist, weil die vorgesetzte Behörde kein Erster-Klasse-Ticket für den Okzident-Express locker gemacht hatte. „Nur, damit Sie alle mal sehen, wie sehr mir die Städtepartnerschaft am Herzen liegt.“ Daher standen eine Zeitlang nur französische Autos am Ladegleis standen, denn auch Fritz P. war mit seinem 11CV gekommen. Dorothea Talbauer, die Wirtin des „Gasthauses zur Post“; versprach ihm ein opulentes Abendessen und eine gediegene Übernachtung auf Kosten des Hauses. „Das sind wir unserem Namen schuldig.“
Tatsächlich fand das Abendessen im größeren Kreis statt, zu dem auch Bürgermeister Meyer und Reporterlegende Fritz P. gehörten. Auf die Frage, ob geplant sei, die Frequenz des neuen Services zu erhöhen – er verkehrt bisher nur einmal pro Woche und Richtung, sagte Meyer: „Wir werden sehen!“ Etwas leiser fügte er hinzu: „Wenn Sender und Empfänger geschickt planen, sind die Paketsendungen in zwei Tagen dort, wo sie hinsollen, Aber selbst wenn sie eine Woche von Etwashausen nach Paris brauchen, ist das ein gewaltiger Fortschritt.“ Das sollte noch lange so bleiben.
Am Wildenrannaer Ladegleis werden Päckchen und Pakete ausgeladen.
Etwashausen, 20. April (Eigener Bericht) Erstmals seit anderthalb Jahren hat die Polizei wieder in den Straßenverkehr eingreifen müssen. Der US-Amerikaner Aymer Corbyn, der sich in Etwashausen niederlassen möchte, hatte seinen Sportwagen mitten auf dem Bahnhofsvorplatz geparkt. Dieser ist aber für Reisende zu Fuß und Linienbusse reserviert. Auch als Comyns Umzugsgut am Güterbahnhof ankam, gab es eine Überraschung.
Comyn war nicht begeistert, als sich Wachtmeister Uwe D. vor dem türkisfarbenen Mustang aufbaute, den er für viel Geld aus Amerika mitgebracht hatte. Der Polizist zückte seinen Block, notierte das Kennzeichen aus Wisconsin und wies den Amerikaner mündlich auf seine Verfehlung hin. „Das Parken ist nur in den ausgewiesenen Zonen erlaubt“, sagte D. „Und dort kostet es nicht mal etwas.“
Verkehrsdelikte sind in Etwashausen und Wildenranna äußerst selten. Die Polizei hatte zuletzt vor knapp anderthalb Jahren im Straßenverkehr zu tun. Damals war Franz-Joseph Kubanke mit einem historischen Benz Patent-Motorwagen in Wildenranna aufgetaucht, und Polizei-Obermeister Siegfried Rudolph vermutete, dass der Wagen nicht den heutigen Zulassungskriterien entsprechen würde. Die Frage war aber wegen des großen öffentlichen Interesses an der Auseinandersetzung aber letztlich unbeantwortet geblieben.
Die Exklusivität seines Erlebnisses tröstete Comyn wenig. „Das ist aber ein unangenehmes Begrüßungsgeschenk“, entgegnete der Noch-US-Bürger. Der Polizist, der sich zuvor mit einer gerade per Bahn eingetroffenen Reisenden unterhalten hatte, rechtfertigte sich: „Hier haben sich Reisende über Ihr geparktes Auto beschwert, und da musste ich eingreifen.“
Hinter ihnen unterhielten sich zwei Damen. „Das Auto ist ja ganz interessant, aber man muss es ja nicht mitten auf den Platz stellen“, sagte die Ältere. „Ja, ich habe kein Mitleid mit dem Fahrer“, stimmte die andere zu.
„Ich bin am Bahnhof, weil ich mich über den Fahrplan kundig machen wollte. Man muss ja nicht immer mit dem Auto fahren“, sagte Comyn und fragte nach: „Wie ist das denn da hinten auf dem Marktplatz?“ Dort dürfe er nur parken, wenn er im Rathaus zu tun habe oder Anlieferer zum Wochenmarkt sei, und auch dann nur für 20 Minuten, erklärte ihm der Polizist.
Am Marktplatz darf man parken, wenn man im Rathaus zu tun hat. Aber höchstens 20 Minuten.
„20 Minuten? Hmm“, grübelte Comyn. „Schaffe ich es in der Zeit, die Formulare für die Anmeldung eines Wohnsitzes auszufüllen?“ – „Das denke ich doch“, sagte D. „Hier bei uns gibt es ja nicht so viel Andrang im Rathaus.“ Er zwinkerte mit den Augen. „Und wenn es 25 Minuten dauert, ist es auch nicht schlimm.“ Also fuhr Comyn mit seinem Mustang auf den Marktplatz, stellte sein Auto wieder ab und ging ins Rathaus. Wie der Polizist vorhergesagt hatte, ging es recht schnell: 13 Minuten.
„Der Ami“, wie ihn viele schon nannten, hatte sich vor einigen Tagen in einer leeren Zweizimmerwohnung in der Nähe der Praxis seines Freundes eingemietet, des Etwashäuser Arztes Paul Löther. Nun ging es um das Hab und Gut aus Amerika abzuholen, also seine Wohnungseinrichtung, Kleider und andere Gegenstände. Er hatte das vor etlichen Wochen in Milwaukee auf die Reise gebracht. Die Bundesbahn hatte ihn benachrichtigt, es solle am Nachmittag ausgeliefert werden. Comyn hatte herausgefunden, dass es am Güterbahnhof von der Schiene auf die Straße verladen werden solle. „Das schaue ich mir an“, sagte er sich, und nachdem er dafür gesorgt hatte, dass vor seinem Wohnhaus ein Platz für einen Container freigehalten wurde, fuhr er zum Güterbahnhof. Dort konnte er beobachten, wie der große Kran einen Von-Haus-zu-Haus-Container vom Güterwaggon auf einen Tieflader hob.
„Das ist Ihr Hausstand“, sagte Güterbahnhofschef Neuerburg zu Comyn, nachdem sie einander vorgestellt hatten. „Aber da ist noch was drin.“
„Ja,was denn?“, fragte der Ami.
„Kuchengabeln“, sagte Neuerburg lächelnd. „Zwei große Kisten Kuchengabeln. Eine für Anni Scherers Laden und eine für – ach, den Namen darf ich ja nicht nennen.“
„Wie kommen die jetzt an die Gabeln?“
„Wir haben Frau Scherer benachrichtigt. Sie hat sich bereit erklärt, beide Pakete vor Ihrem Haus entgegenzunehmen.“
„Na, da werde ich ja eine Menge Kuchen backen müssen“, sagte der angehende Konditor im Gasthaus zur Post.
Der Container mit dem Habseligkeiten Comyns wird am Güterbahnhof auf den Tieflader gehoben.
– Etwashausen, 05. April (Eigener Bericht) Carola kommt nach Etwashausen. Im Vorfeld hamsterten einige Bürger schon Kuchengabeln. Das erfuhren die „Etwaigen Nachrichten“ aus Medizinkreisen. Im Zusammenhang damit will sich ein schottisch-stämmiger US-Amerikaner hier ansiedeln.
Ans Licht kam alles dank Anni Scherer, der Besitzerin des Gemischtwarenladens in der Hauptstraße. Eine Neubürgerin aus der Siedlung, die namentlich nicht genannt werden wollte, hatte ihr sämtliche 36 Kuchengabeln aus Regal und Lager abgekauft und weitere 144 Stück bestellt. Auf die neugierige Frage der Ladeninhaberin, wozu die Kundin denn plötzlich so viele Kuchengabeln brauche, hatte diese nur kryptisch geantwortet: „Für Carola“, und war ohne weitere Erklärung hinausgegangen.
Ganz viele Kuchengabeln…
Anni bestellte daraufhin nicht nur die 144 Gabeln aus dem Auftrag, sondern sicherheitshalber noch einmal dieselbe Anzahl, falls andere Bürgerinnen und Bürger aus der Siedlung auf dieselbe Idee kommen sollten. Und sie verdoppelte den Preis.
Tags darauf kam Inge Seidel in den Laden, die Sprechstundenhilfe von Dr. Löther. Sie berichtete, dass ein Freund ihres Chefs aus Amerika angekommen sei. „Der hat sogar sein Auto mitgebracht. Ein Super-Cabrio!“ Man merkte geradezu, wie sie sich vorstellte, im offenen Wagen den Sunset Boulevard rauf und runter zu fahren. „Und die Farbe erst, ein leuchtendes metallisches Türkis!“
Inge war hell begeistert. Anni, die einen Opel Caravan fuhr, lächelte gequält. Dann erzählte Inge, dass der Ami ganz aufgeregt von einer Carola gesprochen habe, und dass es die bald auch in Etwashausen gebe. „Carola? Kenne ich die?“, fragte Anni, aufmerksam geworden. „Weiß ich nicht so genau. Ich habe nicht alles verstanden. Es war ja im Nebenzimmer. Das hörte sich aber gefährlich an. Wie eine Epidemie.“ Anni fragte erfolglos nach, ob es etwas mit Kuchengabeln zu tun habe, und erwähnte die merkwürdige Aktion der Nachbarin. „Verstehe ich nicht“, sagte Inge.
Der Mustang neben der Praxis und dem 300-er von Dr. Löther.
Nun stieß Genoveva zu den beiden. Auch sie wusste nicht, wer oder was Carola sein könnte. Nach dem Austausch der neuesten Nachrichten fragte Anni Genoveva, ob sie Kuchengabeln brauche. „Nein“, lachte Genoveva, „das bisschen, was ich esse, kann ich auch trinken. Ich brauche aber Klopapier.“ Davon hatte Anni reichlich.
Als sie in der Redaktion Fritz P. davon erzählte, interessierte der sich zunächst mehr für das Auto. Denn der Mustang war in Etwashausen schon vor einigen Tagen aufgefallen. „Ich unterhalte mich mal mit dem Fahrer“, beschloss die Reporterlegende. „Autostories steigern die Auflage der „Etwaigen Nachrichten“ immer.“
Er verabredete sich am Mittwochnachmittag, als die Praxis geschlossen hatte, in Löthers Wartezimmer mit dem Mustangfahrer. Der stellte sich als Aymer Comyn aus Wisconsin vor und erzählte, dass seine Vorfahren die Tradition ruhmreicher Konditoren aus den östlichen schottischen Highlands über den Großen Teich gebracht hätten. „Er versteht viel von Kochen und Backen“, sagte Fritz. „Und Carola ist eine Torte.“ Jetzt ging den Frauen ein Licht auf, und sie verstanden das mit den Kuchengabeln.
Die Torte und die Lok.
Der Bockkran am Ladegleis hebt den Nudelbehälter vom Waggon auf den Straßentransporter. Links der mysteriöse Mustangfahrer.
Etwashausen, 26. März (Eigener Bericht) In der Stadt sind neuerdings Makkaroni besonders begehrt. In Anni Scherers Gemischtwarenladen und in der örtlichen Gastronomie fragten immer mehr Leute danach. Eine umfangreiche Lieferung vor die Tür ihres Hauses in der Hauptstraße erregte so viel Aufsehen, dass die „Etwaigen Nachrichten“ der Sache auf den Grund gingen. „Ich kann reißenden Absatz melden“, berichtete die Ladeninhaberin erfreut.
Es kommt selten vor, dass größere Container mit Spezialtransportern durch die Stadt gefahren werden. Daher säumten einige Etwashäuser die Straße, als der schwere Lastzug vor dem Gemischtwarenladen hielt. „Ich kann mir keine bessere Reklame für mein neues Angebot vorstellen“, freute sich die Inhaberin. Sie hatte persönlich die für ihr doch eher mittelständisches Geschäft umfangreiche Lieferung in Auftrag gegeben. Wie sie darauf kam, schilderte sie den EN exklusiv: „Im Radio habe ich gehört, dass der Nudelpreis gerade auf einem Tief angelangt ist. Der Reporter habe sich darüber gewundert, da Nudeln in Deutschland in letzter Zeit sehr gefragt seien. „Auch bei mir haben immer mehr Kunden und auch unsere örtlichen Gastronomen Nudeln nachgefragt, weil alle Leute nach ihren ersten Italien-Urlauben auf „Pasta“ stehen. So heißt das doch auf italienisch?“, erzählte Anni. Außerdem könne man sie gut für schlechte Zeiten aufheben, „falls man mal nicht mehr raus darf. Das kenne ich noch vom Krieg.“ Genoveva, die bei dem Interview assistierte, ergänzte: „Gerade Makkaroni kann man im ungekochten Zustand auch als Trinkhalme oder Kerzenanzünder benutzen. Schon wieder was für die Umwelt getan.“ Anni erhob vorsichtig Widerspruch: „Ich weiß ja nicht, ob das bei den von dir bevorzugten Getränken angebracht ist, wenn ich etwa an Rotwein oder Whisky denke“, wandte sie ein. „Schauen wir mal“, wich Genoveva aus.
Der Nudelbehälter, noch auf dem Behältertragwagen.
Anni fuhr fort: „Dann habe ich bei der Bundesbahn angerufen und gefragt, wie man an größere Mengen Nudeln kommen kann.“ Güterbahnhofschef Jürgen Vogel habe ihr dann vorgeschlagen, die Nudeln in einem dieser neuen Container zu kaufen. Auch um den Transport vom Gleis zum Laden werde er sich kümmern.
So wurde aus einer größeren Lieferung nach Neustadt und Göttingen ein Waggon mit drei Spezialcontainern voller Makkaroni aussortiert. Einen dieser Container wiederum hob der Bockkran am Ladegleis auf den Behälter-Anhänger. Alles klappte reibungslos, aber der EN-Fotograf berichtete von einem merkwürdigen Mann, der den Vorgang beobachtete. Er war mit einem funkelnagel-neuen Ford Mustang in Acapulcoblau gekommen und setzte sich nun auf einen nahe dem Kran herumstehenden Stuhl. Von dort aus beobachtete er genau, was sich da abspielte. Obwohl Etwashausen als wesentlicher Teil der heilen Welt über einen hohen Bestand an Oberklasse- und Luxusautos verfügt, hatte diesen amerikanischen Sportwagen noch niemand in der Stadt gesehen. „Da müssen wir uns in der nächsten Zeit mal genauer drum kümmern“, sagte Fritz P., als er davon erfuhr.
Die kräftige Kaelble-Zugmaschine fuhr, ziemlich laut brummend, den Behälter durch die halbe Stadt bis vor Annis Schaufenster. Genoveva, die sich vor Ort ein Bild von der Sache machte, freute sich schon auf die erste Portion. „Gut, dass ich mir ein paar Flaschen Vino Nobile aus Montepulciano aus der Getränkelieferung Mitte des Monats gesichert habe“, sagte sie.
„Tomatenmark habe ich noch“, sagte Anni, in Gedanken versunken. „Gekauft“, antwortete Genoveva. „Wo bewahrst du die Nudeln eigentlich auf?“, wollte sie wissen. „Ich habe mehrere Behälter im Keller, die natürlich vom Gesundheitsamt als unbedenklich abgenommen wurden“, sagte Anni. „Aus denen kommen sie dann in die Präsentationsgläser im Laden.“ Schachteln, noch dazu mit Plexiglas, gebe es bei ihr nicht. „Und dann kommen ja noch die Wirte, die die Makkaroni dann nach ihren eigenen Rezepten zubereiten.“ Als sie wieder in ihren Laden ging und Genoveva in ihr Auto stieg, sah sie noch, wie der blaue Mustang in Richtung Neustadt Etwashausen verließ.
Der Behältertransport kommt bei Annis Laden an. Auf der Hauptstraße entsteht ein Stau.
Etwashausen, 13. März (Eigener Bericht) Ein langer Güterzug mit Getränken ist in Etwashausen entladen worden. Damit soll für eventuelle Katastrophenfälle vorgesorgt werden. Wie die „Etwaigen Nachrichten“ exklusiv erfuhren, geht die Aktion auf Genoveva F. zurück, die sich Sorgen um den Getränkevorrat in der Stadt machte. Deshalb wurden auch ausschließlich alkoholische Getränke geliefert.
„Ich habe ein utopisches Hörspiel im Radio gehört“, erläuterte Genoveva, die stadtbekannte Alkoholikerin, das Motiv für ihre Initiative. „Da ging es um eine bevorstehende Epidemie in einem fiktiven Land der Zukunft. Die Einwohner hörten von der Krankheit und begannen mit Hamsterkäufen. Und weißt du, was sie vor allem kauften?“ – „Nein?“ – „Klopapier. Massen an Klopapier.“ Du spinnst“, sagte Fritz P. beim Interview. „Du hattest wohl wieder einen zuviel getrunken?“ – „Nein, ehrlich. Nur drei Glas Wein. Ist ja auch egal, Jedenfalls habe ich mir gedacht, wenn so etwas wirklich passiert, brauchen wir kein Klopapier…“ – Warum nicht?“ – Wir haben ja das Zeitungspapier der ausgelesenen Etwaigen Nachrichten. Ich dachte, wir kaufen besser was zu trinken.“ Um sicher zu gehen, rief sie bei Pits Café, im Gasthof zur Post und im Dorfkrug an und fragte nach den Vorräten. „Es stellte sich heraus, dass die höchstens für drei, vier Tage reichen würden, vom den Schnäpsen mal abgesehen, die in Etwashausen nicht so gefragt seien.“ Genoveva startete eine Blitzbestellung zusammen mit den drei Wirten und zahlreichen Bürgerinnen und Bürgern. „Es kam so viel zusammen, dass wir eine Lok für einen Sonderzug charterten.“ Die meisten Lieferanten stellten eigene Wagen bei, andere lieferten ihre Ware bei jenen ab, die noch Platz im Waggon hatten. So kam eine bunte internationale Reihe von Getränkewagen zusammen. Dänisches, schwäbisches und Kulmbacher Bier war darunter. Je zwei Fässer badischer Wein, Bordeaux und in einem Spezial-Weinwagen aus Italien, bei dem die Schiebetüren angeblich aus thermischen Gründen auch während der Fahrt offenbleiben mussten. Auch Apfelwein aus Frankfurt war reichlich dabei, sodass Helga Müller-Lange aus dem Wiesenweg zu bedenken gab: „Ob wir nicht doch ein paar zusätzliche Rollen Klopapier…?“
Mitten in der Nacht fuhr der Zug im Etwashäuser Güterbahnhof ein. Es dauerte zwei Tage, bis unter gemeinsamer solidarischer Anstrengung der Gastronomen, Spediteure und einzelner Bürger die Getränke an Mann und Frau feinverteilt werden konnten. Die Getränkespedition Orloff aus Neustadt schickte eigens einen ganzen Lastzug, Der Teespezialist Hansen stellte sein Goli-Dreirad zur Verfügung, und der Haus-zu-Haus-Lieferant Wimo Sip kam mit seinem Opel Blitz.
Da die Gleise des Güterbahnhofs – wie häufig bei der Bundesbahn – zu kurz für den langen Zug waren, wurden zahlreiche Rangiermanöver erforderlich. Das hätte beinahe dazu geführt, dass der Wermutwagen aus Italien, der auf einem entlegeneren Abstellgleis wartete, übersehen worden wäre. Nur der Aufmerksamkeit des Streckengehers Bernd Müller (er bevorzugt Martini Rosso) ist es zu verdanken, dass der Wermut zusammen mit einigen Chargen Fernet-Branca und Ramazotti doch noch verteilt werden konnte.Neuer Absatz
Fast wäre der italienische Wermutwagen auf dem kurzen Abstellgleis vergessen worden. Aber der Aufmerksamkeit von Streckengeher Bernd Müller ist es zu verdanken, dass er schließlich noch entladen werden konnte.
– Etwashausen,01. März (Eigener Bericht) Mit neuen Projekten reagieren Bundespost und Bundesbahn auf gestiegene Mobilitätsbedürfnisse der Menschen in Etwashausen und Umgebung. Der nächtliche Postzug befördert nun auch Personen. Posthauptschaffner Bernd Klein berichtete den „Etwaigen Nachrichten“ exklusiv über erste Ergebnisse. „Kino ist ja schön und gut, aber wie kommen wir wieder nach Hause?“ Mit dieser Frage zahlreicher Bürger aus Wildenranna und Neustadt sah sich vor einigen Monaten der Etwashausener Stadtrat in einer Petition konfrontiert. In den Nachbarorten gibt es nämlich kaum kulturelle Einrichtungen und schon gar kein Kino. Deshalb müssen die dortigen Einwohner, wenn sie die neuesten lichtbildnerischen Produktionen etwa aus Hollywood sehen wollen, in Etwashausen in den historischen Titania-Palast an der Hauptstraße kommen. Für die Stadt ist das eine wichtige touristische Einnahmequelle, da viele Gäste vorher oder nach dem Kinobesuch auch noch die Gastronomie aufsuchen, um etwas zu essen oder einen Absacker zu nehmen. Die Petenten beklagten, dass es nach dem Kinobesuch unmöglich sei, mit öffentlichen Verkehrsmitteln am selben Abend in einen der Nachbarorte zu gelangen. Wenn man nach einem Kurzfilm den letzten Zug um 21:00 Uhr noch erreichen könne, sei das zwar schön und gut, aber weder nach einem Film mit normaler Spielfilmlänge noch mit einem anschließenden Besuch im Gasthof zur Post oder in Pits Café fahre irgendein Bus nach Wildenranna oder Neustadt, von weiter entfernten Orten ganz zu schweigen. Daher werde derzeit in der Regel das Auto als Verkehrsmittel für solche kulturellen Highlights genutzt. Indirekte Folge davon seien steigende Zahlen der Unfälle mit alkoholisierten Autofahrern. Die Petenten forderten daher, entweder eine Bus- oder eine Bahnverbindung am späten Abend oder in der Nacht einzurichten, die diesem Missstand abhilft.
Aus naheliegenden Gründen war einer der prominentesten Unterzeichner der Anwalt Michael Fürst, bekannt durch seine Verfahren gegen Verletzung der Persönlichkeitsrechte durch Boulevardmedien. Er hatte vor 13 Jahren das Lichtspieltheater erworben und fürchtet, dass mit steigender Fernsehdichte der Kinobesuch nachlassen könnte. „Ich habe das meinem Briefträger erzählt, der ein eifriger Kinogänger ist, und der hat mich auf den Postzug hingewiesen, der nachts die Post ins Oberverteilzentrum nach Neustadt bringt“, sagte Fürst den „EN“. Daraufhin habe er den zuständigen Oberpostdirektor (OPD) um Lösungsvorschläge gebeten. Zum Beispiel, „die paar Nachtschwärmer“ im Postzug mitfahren zu lassen. „Bei dem OPD hatte ich noch etwas gut“, meinte Fürst, ohne ins Detail zu gehen. Er hatte ihm wohl vor vielen Jahren mal seinen Jaguar zu zwischenmenschlichen Marketingzwecken geliehen. Der inzwischen verheiratete Beamte versprach, sich zu kümmern.
Inzwischen drängte auch Bürgermeister Wilhelm Ulrich auf eine schnelle Lösung. Er hatte die Petition erhalten und sich zu eigen gemacht. In sieben Monaten war Bürgermeisterwahl. Wie die “EN“ aus Bahnkreisen erfuhren, traf sich der OPD mit Bahnchef G., der ebenfalls versprach, sich zu kümmern – „aber nur, wenn es nichts kostet“. G. stieß zunächst auf ein fast unüberwindliches Problem: Der nächtliche Postzug zum nächsten Postknoten war ein Unikum: Gezogen von der altehrwürdigen E 63 des Bw Etwashausen, bestand er nur aus einem einzigen Waggon. Es war ein langer Vierachser der ehemaligen Reichspost, der den Krieg auf dem hinteren Teil des Ladegleises überstanden hatte. „Da können wir keine Fahrgäste reinlassen“, zitierten die Bahnkreise aus dem Gespräch zwischen G. und dem Oberpostdirektor.
Mit dem alten Vierachser würde es also nicht gehen. „Vielleicht brauchen wir doch einen Personenwagen von euch“, sagte der OPD. G. und der Oberpostdirektor ließen ihre Beziehungen spielen. Und siehe da: Im Bestand der Post fand sich ein weiterer Exot, der Langenschwalbacher Postwagen Nummer 101990. Der kurze Vierachser hatte einige Jahre Dienst im Westerwald getan, war aber vor kurzem wegen stetig steigenden Postaufkommens durch einen längeren Wagen ersetzt worden. Er war aber noch nicht offiziell stillgelegt worden. „Den können wir doch in Etwashausen einsetzen“, meinte der Oberpostdirektor. Allerdings war er zu kurz für das auch in dieser Gegend gestiegene Postaufkommen.Aber da half die Bundesbahn. G. bot einen hochmodernen vierachsigen Umbauwagen mit Ladeabteil an. „Wir verkaufen das erstmal als Testbetrieb. Wir setzen den zusammen mit dem Langenschwalbacher ein. „Dann kann das bereits vorsortierte Gepäck in den kurzen Waggon und das wenige, was noch übrig bleibt, kann in dem neuen Wagen sortiert werden.“ Das beste hatte sich G. zum Schluss aufgehoben. G. hatte aber zusammen mit Bürgermeister Ulrich alles durchgerechnet und festgestellt, dass die Geschichte zwar etwas kosten werde, aber dank der zahlenden Gäste und des hohen Werbewerts des Angebotes auch etwas einbringen würde. Also besteht sogar Aussicht auf dauerhafte Nachtzugverbindungen aus Etwashausen. Abfahrt 23:48 Uhr außer Sonntags. Die ersten Zählungen stellten die Bundesbahn ebenso zufrieden wie Ulrich, Fürst und die Gastronomen in Kinonähe. Und die Gäste lobten die neue Verbindung.
Beliebter Kulturtreffpunkt in Etwashausen: das Kino.
Etwashausen, 12. Januar (Eigener Bericht) Die Qualität häuslicher Speisen in Etwashausen und Wildenranna dürfte sich bald deutlich verbessern. Ein Nährmittelhersteller hat auf vereinzelte Klagen von Ehemännern reagiert und einen Hausfrauen-Berater in die Stadt abgeordnet, der den Damen im Bedarfsfall mit guten Ratschlägen zur Seite steht. Außerdem gibt es nun regelmäßige Back- und Koch-Veranstaltungen in den gastronomischen Betrieben.
„Ich freue mich darauf, in der Region Etwashausen beim Kochen und Backen helfen zu dürfen“, sagte Manfred Köhler den „Etwaigen Nachrichten“. Er will mit seinem modernen Mercedes-Lieferwagen dafür sorgen, dass die Etwashausener sich in Zukunft nicht nur schmackhafter, sondern auch gesünder ernähren. Dank großer Aufschriften ist der Wagen schon von weitem als Beraterfahrzeug zu erkennen. Zur Bekanntheit trägt auch „Reklame-Renate“ in Anzeigen der Hausfrauenzeitschriften bei.
Eine Blitzumfrage auf dem Marktplatz ergab, dass die Bürgerinnen und Bürger dem neuen Angebot nicht uneingeschränkt offen gegenüber stehen. Die meisten von den „Etwaigen Nachrichten“ befragten Männer freuten sich zwar. „Selbst Frauen lernen nie aus“, meinte Alex Gradener. Der Alt-68er Klaus-Dieter Schulze-Hartnack aber fühlte sich diskriminiert: „Was ist mit Hausmännern?“, fragte er mit kritischem Unterton. Schließlich habe er als Junggeselle niemanden, der für ihn kocht.
„Ich weiß nicht so recht“, gab auch Berta Ginster zu bedenken. „Die Leute denken doch, ich könnte nicht gut kochen, wenn sie den Lieferwagen vor unserem Bungalow parken sehen. Andererseits stelle ich mir beim Backen selbst oft die Frage, warum mein Kuchen nicht so gut aussieht wie in Pits Café.“ Ihr Mann Emil, der neben ihr stand, murmelte etwas Unverständliches in sich hinein. „Die Nachbarn werden neidisch sein“, entgegnete Köhler. „Laden Sie sie einfach nach unserem Kurzkurs mal zum Essen ein.“ Hausfrauenfreundlich am Nachmittag
Köhler begann seine Arbeit, indem er mit Plakaten und einer Anzeige in den „Etwaigen Nachrichten“ zu einer Informationsveranstaltung im Gasthof „Zur Post“ lud. Natürlich zu einer hausfrauenfreundlichen Zeit am frühen Nachmittag, „damit Sie noch Zeit haben, Ihrem Liebsten das lecker duftende Abendessen auf den Tisch zu stellen, wenn er von der Arbeit nach Hause kommt“, wie der Berater erläuterte. Bei freiem Eintritt lernten die Besucherinnen alles über Backpulver, Hefeteig und die Bedienung moderner Herde.Nach der Veranstaltung überwog die Begeisterung. Selbst Schulze-Hartnack war überzeugt. „Herr Köhler hat mir freundlicherweise eine Ausnahmegenehmigung erteilt. Ich habe viel gelernt“, freute er sich. „Wenn ich jetzt nach Hause komme, versuche ich gleich, eine Nuss-Rahmtorte zu backen. Muss nur noch schnell zu Annis Laden, um Nüsse, Sahne und Zucker zu kaufen. Den Rest habe ich zu Hause. Backpulver und Vanillinzucker gab es ja dankenswerterweise als Pröbchen umsonst.“
Köhler selbst war auch zufrieden. „Die Zuhörerinnen waren sehr aufmerksam und haben wichtige Fragen gestellt.“ Sie hätten sich besonders gefreut, dass sie endlich Aufklärung über fragwürdige Begriffe in älteren Kochbüchern erhalten hätten. „Bei der Frage, was ‚Schellfisch mit Spargel gestovt‘ bedeutet, musste ich allerdings selbst nachgucken“, gab er zu. Anmerkung der Redaktion: Es bedeutet „gedünstet“. Schulkochbuch empfohlen
„Der Zweck meiner Arbeit ist nicht in erster Linie, unsere Produkte zu verkaufen“, meinte er. Das ergebe sich von selbst, da der Markt davon ohnehin tief durchdrungen sei. „Aber als eine Kundin mit der Frage nach einem Auerhahnbraten kam, dessen Rezept sie in ihrem Kochbuch gefunden habe, habe ich ihr doch unser neues Schulkochbuch empfohlen.“ Auerhühner seien inzwischen zu selten, um sie zu Nahrungszwecken zu töten. „Ich muss jetzt leider fahren“, beendete Köhler das Interview. „Frau Knobloch hat mich gebeten, ihr beim Apfelkuchen zu helfen, bevor ihr Mann nach Hause kommt.“
Der Hausfrauen-Beratungswagen vor dem Haus von Rita Knobloch. Im Hintergrund beobachtet die Nachbarin interessiert das Geschehen.
Etwashausen, 14. Januar (Eigener Bericht) Trotz vereinzelter Skepsis in der Bevölkerung will die Bahn eine Fahrplan-Tradition aus früheren Zeiten aufnehmen: die Zugteilung. Der Personenzug von Wildenranna nach Neustadt wird künftig einen zweiten Teil erhalten, der in Etwashausen abgetrennt wird und nach Altdorf fahren soll. Eine Probefahrt erbrachte nur positive Effekte für Fahrgäste, Bahn und Kommunen. Die „Etwaigen Nachrichten“ durften mitfahren.
„Es ist eine Win-Win-Situation“, waren sich Bürgermeister Wilhelm Ulrich, Bahnchef R.L. und Fahrgastvertreter Mario Anhalt einig, die im Erster-Klasse-Abteil des Flügelzuges nach Altdorf den Fragen von Reporterlegende Fritz P. stellten. „Man nennt es auch Flügelung, wegen der Flügelzüge“, freute sich L. „Dadurch, dass wir zwei Züge zur selben Zeit über dieselbe Strecke fahren lassen, schaffen wir mehr Platz für mehr Züge auf der stark belasteten Achse Etwashausen-Wildenranna“, sagte der Bahnchef. Ulrich sagte, die Teilung eines Zuges in Etwashausen erhöhe die Attraktivität nicht nur für die Fahrgäste der betroffenen Züge, sondern auch für Touristen, die das komplexe technische Schauspiel am Bahnsteig stündlich live miterleben könnten. Bei der Probefahrt verliefen die Teilung des Zuges und seine Wiedervereinigung problemlos. Es dauerte nur ein Viertelstündchen.
Die Bahn stelle dazu modernste Infrastruktur zur Verfügung, ergänzte L. und verwies auf die automatischen Kupplungen an den Wagen-Enden und das Entkupplungsmodul, das von den Etwashausener Lokalbahnen bereitgestellt werde. „Daran könnten sich andere Bahnen, bei denen die Flügelung nicht so gut klappt, ein Beispiel nehmen.“Neuer Absatz
Komplexe technologische Prozesse laufen ab, wenn die Züge geteilt werden. Das kann schon mal dauern. Hier unmittelbar nach der Entkupplung.
Worum geht es genau? Es betrifft die stündlich verkehrende Regionalverbindung zwischen Wildenranna, Etwashausen und Neustadt. Sie besteht entweder aus einem Schienenbus oder einem Zug aus einer Lokomotive und zwei Personenwagen, von denen einer mit zwei 1.-Klasse-Abteilen ausgestattet ist. Ihre Kapazität wird jetzt – zumindest zwischen den genannten Orten – genau verdoppelt, dazu kommt ans andere Ende des Zuges eine weitere Lokomotive. In Etwashausen wird der Zug in zwei gleich große Einheiten getrennt: je eine Lok und zwei Wagen. Die eine Hälfte fährt nach Neustadt weiter, die andere nach Altdorf. Anhalt lobte besonders die verbraucherfreundliche Ausgestaltung: „Zur Übersichtlichkeit trägt sehr viel bei, dass die beiden Zugteile mit unterschiedlichen Farben gekennzeichnet sind: Der herkömmliche Fahrtverlauf nach Neustadt wird mit einer grünen Lokomotive und grünen Waggons bedient, der neu hinzugekommene nach Altdorf mit einer roten Lok und roten Wagen. So wird für die Fahrgäste unübersehbar, wo die Grenze zwischen den beiden Flügelzügen verläuft“, meinte er.
Es wurde Zeit für eine solche Neuerung. Die Züge sind schon seit langem heillos überfüllt, unter anderem weil die Straßenverbindung jeder Beschreibung spottet, was Wirtschaftsvertreter auf ideologische Gründe zurückführen. „Die wollen doch nur mehr Verkehr auf die Bahn ziehen. Unseren Bedürfnissen wird dabei nicht Rechnung getragen“, klagte der Sprecher der Etwashausener Handelskammer, Sparkassendirektor Bernd Knobloch. Bahnchef L. relativierte das allerdings, indem er betonte, dass die Zusammenfassung zweier Züge zu einem Raum schaffe für mehr Gütertransport.
Kritik kam auch vom städtischen Bedenkenträger Klaus-Dieter Schulze-Hartnack. Er bemängelte, dass mit der Zugteilung eine Praxis aufgegriffen werde, die in anderen Fällen, etwa in Hamm, zu großer Verunsicherung bei den Fahrgästen und zu Verspätungen geführt habe, und verlangte „mindestens eine Dokumentation der Missstände jener Zeit“. Ulrich entgegnete, dass die verwendeten Kupplungstechnologien mehrfach getestet worden sein und sich als zuverlässig erwiesen hätten. Er hoffe, dass dies auch auf das betroffene Bahnpersonal zutreffe.
Der Bürgermeister gab bekannt, dass in der Stadt eine eigene Buslinie eingerichtet werde für Touristen und Einheimische, die dem Spektakel der Zugteilung bzw. -wiedervereinigung direkt am Bahnsteig verfolgen wollten. „Der Bus wird zunächst kostenlos fahren. Wir gehen davon aus, dass die Zuschauer genug Geld und damit Umsatzsteuer zahlen, um sich während der Dauer des Kupplungsvorgangs mit Imbiss und Getränken zu erfrischen.“ Diese Einnahmen würden dann den Bus finanzieren. Denkbar seien auch Landausflüge, falls es wider Erwarten doch einmal länger dauere, bis der Trennungs- bzw. Wiedervereinigungsvorgang beendet sei. Außerdem werde dafür gesorgt, dass die Passanten die Arbeit des Personals und den Zugang der Reisenden zu den Zügen nicht behinderten.
Bahnchef L. erläuterte noch, dass es nicht ganz einfach gewesen sei, die Kommunikation zwischen den Lokführern beider Seiten während der Fahrt sicherzustellen. Man habe dann beschlossen, durch den Zug eine Telefonleitung zu legen, die an der Waggon-Trennstelle ebenfalls mit einer Steckverbindung getrennt werden kann. Da ohnehin ein Beamter die korrekte Funktion der automatisch verlaufenden übrigen Trennvorgänge an dieser Stelle überwachen müsse, könne dieser auch gleich den Telefonstecker ziehen und die Leitung verstauen.
Bei der Redaktionsbesprechung für die Berichterstattung meldete sich auch Genoveva zu Wort, die es geschafft hatte, sich unter die Gäste der Probefahrt zu mischen: „Mir gefällt besonders, dass die Züge farblich leicht unterscheidbar sind. Das hilft, wenn man hin und wieder nicht ganz bei der Sache ist am Bahnsteig.“
Der Zug verlässt Etwashausen Hbf mit dem roten Teil voran.
Die Diesellok "Amiens" war einst eine Wehrmachts-Rangierlok. Jetzt wird sie zwischen Etwashausen und Frankreich im erweiterten Nahverkehr eingesetzt. Foto: Etwaige Nachrichten.
Etwashausen, 15. November (Eigener Bericht) Gerade noch rechtzeitig zum 10-jährigen Jubiläum der Städtepartnerschaft von Paris und Etwashausen hat sich eine neue deutsch-französische Freundschaft angebahnt: Das nördlich von Paris gelegene Amiens will eine enge Kooperation mit Wildenranna aufbauen. Zusammen mit den Feierlichkeiten zum zehnjährigen Bestehen des Hochgeschwindigkeitsverkehrs zwischen Südwestdeutschland und der Seinemetropole nehmen bereits die ersten Projekte der Zusammenarbeit Formen an.
So überließen die beiden Städte einander leihweise Lokomotiven, die durch ihre Geschichte bereits die engen Bande dokumentieren können, die beide Länder gewissermaßen in einer Schicksalsgemeinschaft verbinden. Wildenranna bat in Etwashausen darum, dass das Betriebswerk eine Dampflok der Baureihe 78 freistellte. Diese Lokomotiven der Preußischen Staatsbahnen haben eine ruhmreiche Vergangenheit in Elsass-Lothringen. Amiens schickte eine Diesellok der ehemaligen Wehrmachtsbaureihe WR 360 C 14 nach Deutschland "zurück". Die französische Besatzungsmacht hatte sie nach dem Krieg requiriert und für Rangierdienste in Amiens nicht nur eingesetzt, sondern sie auch mit dem Namen der Stadt versehen. Außerdem erhielt die Maschine eine Generalüberholung, bei der unter anderem Geländer an den Seiten montiert wurden, die die deutschen Exemplare nicht hatten.
Die Beziehungen zwischen Amiens und Wildenranna sind allerdings nicht im Hochgeschwindigkeitsbereich angesiedelt, wie der neu ernannte Beauftragte für den internationalen Verkehr der Region Etwashausen-Wildenranna, Verkehrsdezernent Werner Krakauer, einräumte. „Die Partnerschaft zwischen Wildenranna und Amiens ist ja noch ein ganz zartes Pflänzchen. Sie muss erst einmal Fahrt aufnehmen“, sagte er auf Anfrage. „Man kann auch nicht immer nur rasen.“ So überließen die Städte einander leihweise Lokomotiven, deren Geschichte die engen Bande dokumentieren, die beide Länder gewissermaßen in einer Schicksalsgemeinschaft verbinden.
Matthieu Larémise, Fahrzeugverwalter des Départements Somme, kam mit der Lok nach Wildenranna und feierte mit Krakauer und anderen Gästen die neue Partnerschaft bei einem Glas Champagner in Pits Café. Pit hat sich in der Vergangenheit mehrmals um die deutsch-französischen Beziehungen verdient gemacht, indem er Speise- und Getränkespezialitäten auf eigene Faust aus dem Nachbarland einführte, um sie seinen Gästen anzubieten. Auf den Gleisen von Wilderanna und Etwashausen absolvierte die Lok „Amiens“ ihre ersten Schichten vor preußischen Abteilwagen.
Zehn Jahre TGV-ICE nach Paris
Unterdessen feierten in Paris deutsche und französische Bahnmanager das erfolgreiche zehnjährige Nebeneinander von TGV und ICE. Fritz P. durfte als Gast den Feierlichkeiten beiwohnen.
Einträchtig stehen die beiden Hochgeschwindigkeitszüge in der Gare de L'Est beieinander. Foto: Etwaige Nachrichten
Er traf dabei Frank H., den Geschäftsführer der Betreibergesellschaft der gemeinsamen Züge. H. erklärte, dass ein anderer Ausgang der Präsidentenwahl das gemeinsame Projekt mindestens gefährdet hätte. Wahrscheinlich wären die Fahrgastzahlen zurückgegangen, wenn die französische Rechte nun das Sagen hätte, weil die Beziehungen zu Deutschland plötzlich nicht mehr weit oben auf der Prioritätenliste gestanden hätten und sogar ein „Frexit“ denkbar war. "Wir hätten den Fahrplan, den wir gerade optimiert hatten, wieder ausdünnen müssen", erklärte er. Dann hätte möglicherweise das Geschäftsmodell zur Disposition gestanden, denn bislang trägt sich der Verkehr selbst, unter anderem wegen der günstigen Fahrzeugumläufe.
Frankreichkenner wiesen in diesem Zusammenhang darauf hin, dass sowohl der neue Präsident Emmanuel Macron als auch seine Gattin und vormalige Englischlehrerin Brigitte Macron aus Amiens stammen. Schon deshalb habe die Feier große Symbolkraft. Krakauer und Larémise versicherten den „Etwaigen Nachrichten“ in Wildenranna feierlich, alles in ihrer Macht Stehende dafür tun zu wollen, dass die Regierungen beider Länder nicht einmal mehr auf die Idee kämen, die deutsch-französische Freundschaft infrage zu stellen.
Die ersten Fahrten absolvierte die "Amiens" mit dem Abteilwagenzug, der regelmäßig zwischen Wildenranna und Etwashausen verkehrt.
Der Fahrer des Motorwagens muss sich vor der Polizei rechtfertigen.Genoveva F. (ganz links) beginnt gerade mit dem Beamten zu argumentieren.
Etwashausen, 7. September (Eigener Bericht) In Wildenranna ist ein äußerst eigenartiges Fahrzeug aufgetaucht: ein Daimler-Motorwagen. Genoveva F. wurde auf ihn aufmerksam, weil er von der Polizei angehalten wurde und sich eine Menschentraube um den dreirädrigen Wagen gebildet hatte. Die „Etwaigen Nachrichten“ haben dank intensiver investigativer Recherche die Zusammenhänge des Zwischenfalls herausgefunden. Einige Fragen ließen sich dadurch klären, andere blieben jedoch unbeantwortet.
Polizeiobermeister Siegfried Rudolph hatte den Motorwagen mit seinem Dienstwagen, zufällig ebenfalls ein Mercedes, verfolgt, bis er ihn vor dem Bahnhof anhalten konnte. Anschließend begann er mit den Ermittlungen, da er sich sicher war, dass das Fahrzeug nicht der Straßenverkehrs-Zulassungs-Ordnung (StVZO) entsprach. Der Fahrer, Feuerwehrmann Franz-Josef Kubanke aus Neustadt, ging zunächst aber nicht auf Rudolphs Fragen ein, sondern fragte zurück: „Wo kann man hier tanken?“
Inzwischen hatten sich mehrere Schaulustige um das historische Fahrzeug und seinen Fahrer eingefunden, unter anderem Genoveva F., die zunächst Rudolph in ein Gespräch verwickelte: „Da kommt mal ein interessantes Auto in unser Dorf, und Sie haben nichts besseres zu tun, als ihm irgendwelche fehlenden Blinker vorzuwerfen?“ Der Polizist entgegnete: „Ich muss doch meine Pflicht tun. Aber interessieren tut es mich doch.“ Kubanke erläuterte: „Der Polizist hat mich angehalten, weil mein „Auto“, wie er es nannte, angeblich nicht der StVZO entspricht.“ Es folgte eine längere, friedliche Auseinandersetzung, an deren Ende Kubanke sich zu einem Interview mit den „Etwaigen Nachrichten“ bereiterklärte.
EN: Wie ist es ausgegangen? Mussten Sie zahlen? Kubanke: Ich habe dem Polizisten erklärt, dass der Motor des Wagens nur 0,55 kW leistet. Das bewegt sich auf dem Niveau eines durchtrainierten Radfahrers. Deshalb müsse der Wagen wohl nicht all die Vorschriften erfüllen, die für ein modernes Auto gelten. Ganz abgesehen davon, dass der Halter eines Fahrzeugs von 1885 Bestandsschutz genießen sollte. Dann habe ich ihn gefragt, welche Bestimmungen genau auf mein Fahrzeug zuträfen. Da müsse er erst nachgucken, hat er gesagt.
EN: Hat er denn eine StVZO zur Hand gehabt? Kubanke: Nein, hatte er glücklicherweise nicht. Er wollte mich aber trotzdem nicht weiterfahren lassen. Da hatte er seine Rechnung aber ohne Genoveva gemacht.
EN: Wieso? Kubanke: Sie verwickelte ihn in ein Gespräch über technische Kulturdenkmäler und drohte damit, den gesamten Daimler-Konzern und alle Fahrer historischer Automobile zu mobilisieren, wenn er mich nicht weiterfahren lassen würde. Alle Umstehenden pflichteten ihr zu und beteiligten sich an dem Gespräch.
EN: Und mussten Sie nun zahlen oder nicht? Kubanke: Nein, denn er hatte ja keine Ahnung, wie viel er mir hätte abknöpfen dürfen. Außerdem hätte er einen Paragrafen auf der Quittung angeben müssen, gegen den ich verstoßen habe. Und da ihm der passende nicht geläufig war, verzichtete er, nicht ohne mich zu ermahnen, gaaanz vorsichtig weiterzufahren und beim Abbiegen immer schön die Hand rauszustrecken wegen der fehlenden Blinker.
EN: Wie weit wollen Sie denn nun noch fahren? Wie sind Sie überhaupt an das Fahrzeug gekommen? Kubanke: Das ist eine längere Geschichte. Erst mal nur so viel: Vor anderthalb Jahren mussten doch alle Etwashausener Mercedes 260 D wegen möglicher Rahmenrisse im Werk überprüft werden (https://en.tischbahn.de/nummer-163-dieselstau-im-gueterbahnhof/). Da habe ich mit dem Konzern Kontakt aufgenommen, um das möglichst schnell über die Bühne gehen zu lassen. Die Leute da waren nun so nett, mir den Motorwagen zu einer routinemäßigen Fahrt zu überlassen. Er muss immer mal bewegt werden, damit die Mechanik geschmeidig bleibt. Wie weit ich noch will? Ich muss noch zum Etwashausener Güterbahnhof. Da wird er dann aufgeladen und per Bahn ins Museum zurückgebracht. Aber erst mal muss ich eine Tankstelle finden. Wissen Sie vielleicht, wo die nächste ist? Eine Apotheke tut es übrigens auch.
EN: Eine Apotheke ist da hinten in der Hauptstraße. Brauchen Sie Benzin oder Diesel? Kubanke: Benzin natürlich! Diesel ist ja sowas von 20. Jahrhundert. Das will doch kein Mensch mehr. (Knattert davon.)
Der Heimweg ins Museum gelang mit einem Spezialtransporter.
Der Ü-Wagen am Wildenrannaer Ladegleis. Eine ausziehbare Treppe führt zum wettergeschützten Studio, dessen Scheinwerfer hier probehalber auf dem Vorplatz aufgestellt wurde. Ein Abgesandter des französischen Kühltransportunternehmens STEF ist mitgekommen, um die letzten Formalitäten der Übergabe zu erledigen. Fotos: Etwaige Nachrichten
Etwashausen, 15. Juni (Eigener Bericht) Die „Etwaigen Nachrichten“ expandieren massiv. Ein Übertragungswagen französischer Bauart mit High-Tech-Ausrüstung sowie ein Materialwagen ermöglichen es Fritz P. und seinen Mitarbeitern nun, auch unter widrigsten Umständen ihrer Arbeit nachzugehen.
Die Inbetriebnahme des Wagens reiht sich ein in eine Serie teils legendärer Manifestationen der deutsch-französischen Freundschaft in Etwashausen. Sie wird in diesem Frühsommer noch einen weiteren Höhepunkt erreichen. (Darüber mehr in einer der nächsten Ausgaben der „Etwaigen Nachrichten“.)
Der mit einer beschrifteten Plane versehene Materialwagen basiert auf einem Rungenwagen-Typ, wie er seit Jahrzehnten auf europäischen Schienen Dienst tut. Bei dem Ü-Wagen handelt es sich um eine weitgehende Neukonstruktion eines thermisch besonders geschützten Fahrzeugs. Er ist ein Geschenk des französischen Kühltransportunternehmens STEF, das mit der Etwashausener Farben AG seit Jahren gut zusammenarbeitet. Damit war schon einmal klar, dass der vierachsige Waggon professionell vor extremen Außentemperaturen oder anderen negativen externen Einflüssen professionell geschützt ist. Politisch muss sich nach den Worten kritischer Beobachter, die anonym bleiben wollen, noch erweisen, ob mit so einer Schenkung die wirtschaftliche Unabhängigkeit des Verlages weiterhin gewährleistet ist.
Der Übertragungszug mit dem Materialwagen und dem Ü-Wagen. Das Fenster der nicht ausfahrbaren Seitenwand schmückt ein Blumenkasten.
In Kooperation mit dem hiesigen Handwerk wurde auf Verlagskosten ein durch ausfahrbare Seitenwände zu vergrößerndes Studio eingebaut. Dazu kommen modernste Kommunikationseinrichtungen, unter denen die Satellitenanlage hervorzuheben ist. Insider wiesen auf eine kleine Biosphäre im Innern hin, mit der der Ü-Wagen nahezu vollständig autonom sei. Zusammen mit der Satellitenanlage und Energie- sowie Lebensmittelvorräten sei es Fritz P damit möglich, „die neuesten Erkenntnisse direkt in die Wolke zu senden“, wie ein Handwerkssprecher sagte. Die Unabhängigkeit von äußeren Einflüssen lasse sich für zwölf Tage aufrechterhalten. Bis dahin könne Fritz P. aus seinem Ü-Wagen selbst unter widrigsten Umständen noch Nachrichten an den Rest der Welt senden, „falls es diesen dann noch gibt“, fügte der Sprecher hinzu.
Lobend sind hier die Werkstatt des Altmetallhändlers Anselm Karsupke und das Ausbesserungswerk Dallgow-Döberitz zu erwähnen. Dazu kommen die hervorragenden Connections von Fritz P. Gerade der Umstand, dass es sich um ein Schienenfahrzeug handelt, gewährleistet, dass im bahnmäßig gut erschlossenen Kreis Etwashausen stets vom Ort des Geschehens berichtet werden kann, damit die Pressefreiheit nicht endet, wenn die Kameras weg sind.
Die variable Seite des Ü-Wagens. Die Seitenwand ist eingefahren, die Fahrt zum nächsten Ereignisort kann losgehen.
Kupplungsvorgang beendet, ganz automatisch. Die Rangierer sind begeistert. Alle Fotos: Etwaige Nachrichten
Etwashausen, 1. Mai (Eigener Bericht) Eine Neuordnung des Zugbildungsmanagements an den Personen- und Güterbahnhöfen von Etwashausen und Wildenranna hat heftigen Protest ausgelöst. Bundesbahn und Etwashausener Lokalbahn (ELB) wollen verschiedene Lokomotiven mit einer automatischen Kupplung ausrüsten, die den Rangierern die Arbeit erleichtern soll. Die Arbeitnehmervertreter fürchten aber, dass die Rangierer wegrationalisiert werden sollen. ELB-Chef Ferdinand Krutschek leaste eigens von den Neustädter Hüttenwerken eine Lok, die bereits über die automatischen Kupplungen verfügt. Mit ihr demonstrierten er und Güterbahnhofschef Jürgen Vogel den Arbeitern, wie schnell An- und Abkuppeln mit der automatischen Kupplung geht. Krutschek betonte, dass er die Veranstaltung eigens auf den Tag der Arbeit gelegt habe, um zu demonstrieren, dass die Lokalbahn sich besonders um das Wohlbefinden der Arbeitnehmer kümmere. Auch deshalb waren die „Etwaigen Nachrichten“ zum Ortstermin geladen. Rangierer Kalle Schmieder stand dabei und bekam ganz große Augen. „Da muss man nicht mehr zwischen den Puffern schrauben?“, fragte Kalle ungläubig. „Nein, der Lokführer drückt auf einen Knopf, fährt kurz vor- und rückwärts, und schon sind Lok und Wagen getrennt.“ „Und was ist mit den Leitungen für Licht, Heizung und Bremse?“ „Jetzt sei doch nicht kleinlich. Wir reden hier über was ganz Großes.“ Die grau-rote V 60 schob leise brummend eine Abteilung Behälterwagen ins Ladegleis. Lokführer Horst Schulz betätigte die ferngesteuerte Kupplung, der Bügel des Waggons schob sich nach oben. Der Rangierer klatschte Beifall.
Der Bügel des Waggons wird automatisch hochgedrückt. Ein kurzes Zurückstoßen, und Waggon und Lok sind getrennt.
Gerade als Schulz die Lok zurücksetzte, kam Klaus-Dieter Schulze-Hartnack, der stadtbekannte Alt-68er und ewige Student, um die Ecke. „So geht das nicht“, rief er aufgebracht. „Lass dich nicht aufs Glatteis führen. Die raffinierten Kapitalisten versuchen doch nur, ihren Profit zu maximieren, und Leute wie du bleiben dabei auf der Strecke.“ Kalle zeigte auf einen großen Bluterguss auf seinem rechten Arm: „Weißt du, was das ist? Den habe ich von einem Kupplungshaken, der mir da drauf gefallen ist.“ „Ach, das ist ein Einzelfall. Einen blauen Fleck kannst du dir auch im Stellwerk holen.“ „Also mir würde es nichts ausmachen, einen Job mit weniger körperlicher Arbeit zu haben. Du als ewiger Student kannst dir ja nicht vorstellen, wie das ist.“ „Das musst du politisch sehen. Wir brauchen Arbeiter der Faust, damit wir nicht nur intellektuelle Kraft haben, um eines Tages die Revolution siegreich zu Ende zu führen“, sagte Hartnack leise zu dem Rangierer. Der blickte etwas verständnislos. „Revolution? Muss das sein? So schlecht geht es mir nun auch wieder nicht.“ „Da gehst du den Kapitalisten aber richtig auf den Leim. Die lullen dich doch nur ein, um dich und andere weiter ausbeuten zu können.“ „Nun ist es aber gut, Herr Schulze-Hartnack“, mischte sich Bahnhofschef Vogel ein. „Wenn Sie hier weiter solche wilden Thesen vertreten, muss ich Sie mit einem Platzverweis belegen! Ich zeige Ihnen jetzt mal, wie das normalerweise geht“, fuhr er fort und nötigte Schulze-Hartnack in seinen Dienst-Opel. „Wo fahren wir denn hin?“, fragte dieser. „Wir fahren jetzt zum Ladegleis Wildenranna, und da zeigen wir Ihnen mal, wie ohne Automatik Kupplungen getrennt werden.“
Die Rangierdampflok hat den Martini-Wagen am Wildenrannaer Ladegleis abgesetzt. Entkuppelt werden mussten beide per Hand.
Kurz darauf kamen sie an dem Gleis an, wo die Rangierdampflok den Martini-Wagen aus Italien an die Rampe geschoben hatte. Ein Rangierer hatte mit einer Stange die Kupplung gelöst und stand nun zwischen den Puffern, nachdem er auch noch die Leitungen getrennt hatte. „Das ist harte Arbeit“, sagte Vogel. „Diese perfiden Pläne ändern nichts daran, dass die Automatisierung nur den Herrschenden dient“, beharrte Schulze-Hartnack auf seiner Position. „Egal, aber dank der Automatisierung geht es uns besser. Eine Revolution, nach der es mir nicht besser geht als vorher, kann mir gestohlen bleiben“, sagte der Rangierer und wischte seine schmutzigen Hände an der Arbeitshose ab. „Außerdem“, fuhr Vogel fort, „ist das Einführen weiterer automatischer Kupplungen nur eine kleine Stufe der Automatisierung. Bis die Waggons auch damit ausgestattet werden, dauert es noch eine Weile. Das geht bisher nur an Entkupplungsgleisen.“
Entkuppeln am Entkupplungsgleis.
„Was ist das denn nun wieder?“, fragte Schulze-Hartnack. Vogel erklärte: „Die sind an strategischen Stellen eingebaut, um die Lokomotiven und Waggons voneinander zu trennen. Die gibt es schon ganz lange.“ „Puh. Ganz schön komplex, das Thema. Wie viele Rangierer gibt es eigentlich in Etwashausen und Wildenranna?“ „Zwei. Und dazu kommen die Lokführer, die das machen müssen, wenn gerade kein Rangierer da ist.“ Entlassen werde hier eh niemand. Erstens weil die Rangierer Beamte seien, und zweitens weil es genügend andere Arbeit für sie gebe, wenn sie nicht mehr die Kupplungen lösen müssen. „Vielleicht ist das hier doch nicht der richtige Ansatzpunkt für eine Revolution“, resignierte Schulze-Hartnack. Und verabschiedete sich weitgehend unauffällig mit einem gemurmelten „Rot Front“. Die Rangierer und Vogel lud Krutschek zum Frühschoppen in den Dorfkrug ein.
Der ELB-Schienenbus mit den Unterhändlern unterwegs im Bahnhof Etwashausen. Foto: Etwaige Nachrichten
Etwashausen, 29. Januar (Eigener Bericht) Die Etwashausener Lokalbahn (ELB) und die Ferrocariles Internacionales de San Escobar (FINSE) haben eine enge Kooperation auf dem Gebiet der Dokumentation und Kommunikation eisenbahnrelevanter Ereignisse vereinbart. Eine entsprechende Absichtserklärung unterzeichneten die Vorstandsvorsitzenden beider Firmen am Freitag im berühmten Schienenbus der ELB in voller Fahrt zwischen Etwashausen und Finse, dem Sitz der europäischen Niederlassung der FINSE, wie die "Etwaigen Nachrichten" exklusiv erfuhren.
Auslöser für das Memorandum of Unterstanding (MoU), wie Foreign-Affiars-Profis sagen, waren Meldungen über eine Aussage des polnischen Außenminister Witold Waszczykowski. Dieser hatte in Gesprächen mit Vertretern des bisher von der Weltgemeinschaft weitgehend ignorierten Karibikstaats San Escobar Wohlwollen für eine Mitgliedschaft Polens im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen erkannt.
Die Twitter-Präsenz des Staates San Escobar. Screenshot: Etwaige Nachrichten
Daraufhin ernannten die ELB den stadtbekannten Alt-68er Klaus-Dieter Schulze-Hartnack zum Sonder-Referenten für die Suche nach der dortigen Bahngesellschaft. "Schulze-Hartnack kennt sich mit Karibik-Produkten aus", begründeten sie ihre Personalie. Tatsächlich wurde er nach ein, zwei Tüten fündig bei dem Namen der Eisenbahngesellschaft des Inselstaats: Er heißt übersetzt "Internationale Eisenbahnen von San Escobar". International? "Kein Wunder", sagte Schulze-Hartnack auf Anfrage der "Etwaigen Nachrichten". "In einem so kleinen Land, das nicht einmal auf Landkarten verzeichnet ist, ist noch weniger Platz als in Lummerland mit seinen zwei Bergen. Also muss es eine Company sein, die auch im Ausland aktiv ist."
Der Schnellzug aus Oslo fährt in Finse ein. Leider verpassten die "Etwaigen Nachrichten" den Halt des Schienenbusses in der norwegischen Kleinstadt. Screenshot: Etwaige Nachrichten mit freundlicher Genehmigung der Bergens Tidende, Bergen, Norwegen. (Leider reagiert das T-Online-CMS allergisch auf manche Verlinkung. Zum Erreichen der Webcam empfehlen die "Etwaigen Nachrichten" daher, nach "Finse Stasjon" zu googeln.)
Nach langer Recherche in diversen Bahnhöfen lernte Schulze-Hartnack, dass es einen Bahnhof gibt, der nach der Eisenbahngesellschaft von San Escobar benannt ist. "Allerdings liegt er ganz woanders als in der Karibik", sagte er. Im hohen Süden Norwegen stieß er auf eine Ortschaft namens Finse, und als er auf ELB-Kosten mit Moonboots aus alten Tagen im Winter dorthin fuhr, fand er, fast verdeckt im Tiefschnee den Schriftzug, der dem Schild am Hauptgebäude der FINSE in Santo Spiritu, der Hauptstadt von San Escobar, entsprach. Schulze-Hartnack fertigte einen Bericht über seine Ermittlungen an, in dem er sicherheitshalber darauf hinweis, dass San Escobar nicht mit dem benachbarten San Monique verwechselt werden dürfe. Es existiert ebenfalls nur im Reich der alternativen Fakten und ist deshalb ein vergleichsweise wenig besuchtes Spionage-, Glücksspiel- und Geldwäsche-Zentrum.
Der berühmte Doppeldecker aus dem Geldwäsche-Paradies San Monique, in Aktion zu sehen in dem James-Bond-Film "Leben und sterben lassen". Foto:San Monique Transport
"In San Escobar ist zwar alles fiktiv, aber es geht mit rechten Dingen zu", erklärte er unter Hinweis auf die Ausführungen des polnischen Außenministers. Die ELB-Manager waren sofort Feuer und Flamme, als sie den Bericht lasen. Die CEOs beider Unternehmen setzten sich sofort miteinander in Verbindung. ELB-Vorstandschef Nikolaus Gosel beförderte Schulze-Hartnack zu seinem Referenten für internationale beziehungen und trug ihm auf, zusammen mit seinem Kollegen aus San Escobar die Absichtserklärung auszuarbeiten.
Anschließend legten sie den Ort der Unterzeichnung fest. Finse sollte es nicht werden, da es dort a) zu kalt sei und es b) nicht auf San Escobar liege, meinte Gosel. So entschied man sich für ein Teilstück der Strecke zwischen Etwashausen und Finse und schickte den Schienenbus mit den Managern auf die Reise.
"Es gibt sehr viele Gemeinsamkeiten zwischen der ELB und der FINSE", sagte Gosel. "Beide sind weitgehend fiktiv, beide haben ein sehr hohes Ansehen in der internationalen Eisenbahnbranche, und beide zeichnen sich durch eine sehr hohe Pünktlichkeitsrate aus." Was im wesentlichen daran liege, dass sie einen sehr flexiblen Fahrplan hätten. Dieser passe sich den Arbeitszeiten des operativen Personals und dem Wetter "atmend" an. "Los trenes salen, cuando el personal es presente" (Die Züge fahren, wenn das Personal anwesend ist"), erläuterte FINSE-CEO Pablo "El Vagòn" Ortega.
So kam es zur Unterzeichnung im Schienenbus. Ortega wies darauf hin, dass die FINSE im Auftrag des Präsidenten der Volksrepublik San Escobar unterwegs sei ("Proveedores del Presidente"). Dagegen sei "By Appointment to HM The Queen" nur ein müder Abklatsch.
Die beiden neuen Feuerwehrautos präsentierten sich stolz an der historischen Waage in Wildenranna. Foto: Etwaige Nachrichten
Etwashausen, 11. Januar (Eigener Bericht) Wildenranna hat zwei neue Feuerwehrautos vom Typ Opel-Blitz. Mit dem Beschluss, diese anzuschaffen, beendete der Stadtrat eine wochenlange Hängepartie um die Ausstattung der Wehr im Nachbarort. Bürgermeister Wilhelm Ulrich hatte zuvor hinter den Kulissen für klare Verhältnisse gesorgt, „um die Kuh vom Eis zu bringen“, wie er anschließend den „Etwaigen Nachrichten“ exklusiv erklärte.
Einige Etwashausener Abgeordnete äußerten sich nach der teils emotional verlaufenen Debatte im Stadtrat zwar unzufrieden, aber der fraktionsübergreifende Antrag des Bürgermeisters fand die Zustimmung von 85,7 Prozent der Abgeordneten. Im einzelnen sieht der Beschluss vor, dass Wildenranna ein Löschfahrzeug mit Einachsanhänger und eine Drehleiter auf je einem Opel-Blitz-Chassis erhalten solle. Um eventuellen Imageproblemen der Etwashausener entgegenzuwirken, erhielt die Stadt im Gegenzug den bisher von Wildenranna genutzten „Gerätewagen Wasserrettung“ auf Mercedes-Basis und verfügt damit über drei Feuerwehrfahrzeuge, also eines mehr als Wildenranna. Dass es in beiden Gemeinden keine Wasservorkommen oberhalb des Grundwassers gibt, spiele dabei keine Rolle, meinte Ulrich.
„Für Wildenranna gilt damit, dass die Ausstattung der Wehr auch bei der gewünschten Expansion noch ausreicht“, sagte der Bürgermeister. Der Stadtrat kommt mit dem Beschluss im übrigen einer Verordnung zuvor, nach der auch Feuerwehren kleinerer Gemeinden künftig eine Drehleiter haben müssen. „Ein Glück, dass wir das rechtzeitig erfahren haben“, sagte der Wildenrannaer Abgeordnete Hans-Jürgen Kummer. „So konnten wir den Stadtrat vor überflüssigen Ausgaben in naher Zukunft bewahren.“ Da es sich jetzt um zwei Fahrzeuge auf sehr ähnlichem Chassis handele, könnten überdies Wartungs- und Reparaturkosten niedrig gehalten werden. Während der Debatte hatte Kummer noch bemängelt, dass die Länge der Leiter nicht ausreiche, um auf das Dach des Wildenrannaer Bahnhofsgebäudes zu gelangen. Dazu sagte Etwashausens Feuerwehrhauptmann Alexander Hellmann: „Der Bahnhof ist doch eh aus Blech, der brennt sowieso nicht.“ (Für Ortsfremde: Es handelt sich um das Märklin-Modell des Bahnhofs Friedrichshafen am Bodensee, das in der Nachbarstadt nicht ohne einen gewissen Neid regelmäßig als überdimensioniert für „das Kaff“ Wildenranna gebrandmarkt wird.)
Ursprünglich wollte Wildenranna ein Mercedes-Feuerwehrfahrzeug haben, was die Etwashausener Mehrheit des Stadtrats aber ablehnte. Dabei hatten nicht nur die vergleichsweise hohen Kosten eine entscheidende Rolle gespielt, sondern auch der Umstand, dass in Etwashausen-Stadt eine Magirus-Drehleiter Dienst tut, die in den Augen mancher Stadträte über einen geringeren Prestigefaktor verfügt als das Pendant mit dem Stern auf dem Kühlergrill.
„Die Fahrzeuge wurden sehr schnell bereitgestellt“, freute sich Ulrich. „So konnten alle Beteiligten schnell in Augenschein nehmen, welche konkreten Auswirkungen der Beschluss hat.“ Das habe erheblich zur Glättung der Wogen unter den Stadträten beigetragen. Löschfahrzeug und Drehleiter kamen am Freitag in Wildenranna in Form eines Spezialtransports mit von Bahnkennern als selten bezeichneten Flachwagen an, die eigentlich zur Beförderung von Flugzeugen gebaut wurden. Dafür hatten die anwesenden Wehrleute und Abgeordneten aber kaum ein Auge.
Nachdem die Opel-Blitze abgeladen waren, hielt Ulrich eine kurze Ansprache. Anschließend nahmen alle die beiden roten Kleinlaster in Augenschein und äußerten sich mehrheitlich zustimmend über die Neuerwerbung. Hellmann, der als Gast ebenfalls anwesend war, meinte: „Vielleicht kommt ja irgendwann auch mal der Tag, an dem Etwashausen ein ordentliches Löschfahrzeug in angemessener Größe erhält.“ Kummer konnte nicht aufhören zu sticheln: „Notfalls helfen wir euch bis dahin mit unserem Einachsanhänger aus.“
Das alte Wildenrannaer Feuerwehrauto. Auf dem Dach ein Schlauchboot. Alle Fotos: Etwaige Nachrichten
Etwashausen, 30. Dezember (Eigener Bericht) Im Rathaus von Etwashausen ist ein heftiger Streit über die Beschaffung eines neuen Feuerwehrfahrzeugs für Wildenranna ausgebrochen. Im Stadtrat, der über die Infrastrukturangelegenheiten beider Gemeinden entscheidet, kam es zu turbulenten Szenen, weil Bürgermeister Wilhelm Ulrich und die ihn stützende Koalition keine Drehleiter in voller Größe anschaffen wollen.
Die Abgeordneten, die im Stadtrat Wildenranna vertreten, machten sich dafür stark, eine große Mercedes-Drehleiter zu beschaffen, und argumentierten damit, dass das derzeit vorhandene Fahrzeug ebenfalls von der Marke mit dem „guten Stern“ stammt. Es sei allerdings für die gestiegenen Anforderungen zu klein geworden, sagte der Abgeordnete Hans-Jürgen Kummer.
Für die Etwashausener Feuerwehr erklärte Hauptmann Alexander Hellmann, dass man die besten Erfahrungen mit dem Magirus-Fahrzeug gemacht habe, vor allem, weil der Hersteller ein Komplettpaket anbiete. Bei Mercedes sei das anders, und außerdem brauche Wildenranna ncht so ein großes Fahrzeug wie Etwashausen. Schließlich seien die Häuser dort kleiner und auch nicht so hoch wie in der Stadt, ganz zu schweigen davon, dass dort weniger Menschen wohnten. Er erinnerte daran, dass vor neun Jahren die Drehleiter bei einem Ufo-Alarm erfolgreich zur Rettung einer Familie vom Dach eines fünfstöckigen Mehrfamilienhauses eingesetzt wurde.
Hellmann meinte: „In Wildenranna hat es ja bis jetzt noch nie gebrannt, also habt ihr auch gar keine Erfahrungen mit den Anforderungen an ein richtiges Feuerwehrfahrzeug. Das sieht man schon daran, dass auf dem Dach eures derzeitigen Mercedes auch ein Schlauchboot untergebracht ist, obwohl es in Wildenranna weder einen Teich noch Fluss oder Bach gibt.“ Das löste wütende Entgegnungen bei den Wildenrannaer Vertretern aus. „Bloß weil ihr mit Eurem Leiterwagen mal ein Kind von einem Dachbalken geholt habt, braucht ihr jetzt nicht so zu tun, alswärt ihr die absoluten Fachleute“, schimpfte Kummer. Ein Fraktionskollege fügte hinzu: „Repariert ihr doch erst mal die Fontpartie von Eurem Trecker“, und meinte: „Die Mercedes-Drehleiter sieht eh viel besser aus.“
Die Etwashausener Drehleiter im Einsatz beim Ufo-Alarm vor neun Jahren. Foto: Etwaige Nachrichten
„Als ob es darum ginge“, entgegnete Bahnhofsvorsteher Jakob Claus, der als Fachmann eines Infrastrukturbetriebs beigeladen worden war. „Es kommt doch darauf an, dass die Wehrleute schnell und mit optimalem Gerät sofort vor Ort sind.“ Gerade in Wildenranna müsse ein Fahrzeug wendig sein, wenn es zum Beispiel um Rettungsleistungen im Gewerbegebiet gehe.
„Und was ist mit unserem großen Bahnhofs-Empfangsgebäude?“, fragte Kummer und sprach damit einen der sehr wunden Punkte in den Beziehungen beider Gemeinden an. Etwashausen hat zwar am Schienenverkehr wesentlich höhere Anteile als Wildenranna, dieses aber hat das deutlich größere und repräsentativere Empfangsgebäude.
Da mischte sich der Bürgermeister ein. „Ihr könnt erzählen, was ihr wollt“, sagte Ulrich, „aber für eine große Drehleiter haben wir kein Geld.“ Und schon gar nicht für eine von Mercedes, bei der für den Stern ja noch extra bezahlt werden müsse. Und dann führte er in einer längeren Rede aus, wie er sich bei mehreren Herstellern kundig gemacht habe, ob es nicht eine kostengünstigere Lösung gebe. Und da sei er auf die Firma Opel gestoßen. Die biete auf der Basis des Opel Blitz sowohl Kleingruppenlöschfahrzeuge als auch Drehleitern an. Deutliches Murren in der Wildenranna-Fraktion war die Folge. Einer ließ sich mit der Einschätzung vernehmen: „Jeder Popel fährt nen Opel.“
Die Zierde der Etwashausener Feuerwehr. Am Kühlergrill müsste noch etwas Feinarbeit geleistet werden. Und irgendjemand hat vergessen, den Briefkasten vom Pflaster zu nehmen. Foto: Etwaige Nachrichten
Das sei aber nun wirklich unsachlich, entgegnete Ulrich. Er ließ durchblicken, dass einige der für die Zukunft geplanten Anschaffungen für beide Orte neu überdacht werden müssten, wenn für das Feuerwehrfahrzeug von Wildenranna mehr als 90.000 Taler ausgegeben werden müssten. „Wir sind ja hier nicht in der Schweiz.“
Ulrich beantragte, dass über die Beschaffung abgestimmt werde. Zuerst ging es um einen Antrag, ob für Wildenranna eine Mercedes-Drehleiter beschafft werden solle. Der wurde erwartungsgemäß abgelehnt. Daraufhin beantragten die Wildenrannaer eine Vertagung der endgültigen Entscheidung bis zur nächsten Sitzung. „Wir müssen die Sachlage erst noch einmal neu beraten“, sagte Kummer.
Die "Etwaigen Nachrichten" (EN) sind ein spielerisches Zeitungsprojekt um eine Modellbahnanlage. Sie verfolgen keinerlei kommerzielle Zwecke, verstehen sich als unabhängig, überparteilich, aber eisen- und modellbahnaffin. Zurzeit erscheinen die EN in unregelmäßigem Rhythmus. Die Geschichten sind virtuell und frei erfunden. Ähnlichkeiten der handelnden virtuellen Personen mit lebenden oder toten echten Personen sind in der Regel rein zufällig.
Für Inhalte mit diesen Seiten verlinkter Seiten sind wir weder verantwortlich noch haben wir sie im einzelnen auf Konformität mit den geltenden Gesetzen geprüft.
Das Copyright für alle Texte und Bilder dieser Website liegt, sofern nicht anders angegeben, bei: Thomas Rietig, c/o rsv-presse, Wublitzweg 12b, D-14089 Berlin, Deutschland. Weiterverwendung, auch auszugsweise, in welchen Medien auch immer nur nach Einzelfall-Genehmigung, ggf. gegen Honorar.
Kontakt: thomas.rietig@rsv-presse.de
Über diese Adresse können Sie: - mit der Redaktion Kontakt aufnehmen, wenn Sie beispielsweise Ideen für neue Folgen haben; - Leserbriefe schreiben. Wir freuen uns über Kritik und Anregungen; - den kostenlosen Newsletter abonnieren, mit dem Sie immer auf neue Ausgaben aufmerksam gemacht werden: im Betreff der E-Mail einfach "Bitte Newsletter schicken" oder "subscribe newsletter" schreiben; - den Newsletter abbestellen: im Betreff der E-Mail "Newsletter abbestellen" oder "unsubscribe" schreiben.